: Wird jetzt alles gut an den Unis?
Seit diesem Semester gibt es Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen, gerade hat der Landtag das „Hochschulfreiheitsgesetz“ beschlossen. In nur anderthalb Jahren haben CDU und FDP das Hochschulsystem gründlich umgebaut. Geht es mit den Hochschulen im Land nun bergauf?
JA
Unsere Hochschulen müssen drei zentrale Aufgaben erfolgreich wahrnehmen: Die hervorragende Ausbildung des Nachwuchses, die Forschung auf internationalem Niveau und den intensiven Wissenstransfer in Gesellschaft und Wirtschaft. In NRW tun wir deshalb zwei Dinge gleichzeitig: Wir sichern die Gestaltungskraft der Hochschulen – und wir geben ihnen zugleich Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsverantwortung in einer Dimension, wie sie in Deutschland einzigartig ist.
Gestaltungskraft: Hier bleibt der Staat in der Verantwortung. Und er hat die Pflicht, den Hochschulen auch neue Chancen zu öffnen. Deshalb haben fast alle Hochschulen in NRW die neue Option gewählt, Studienbeiträge zu erheben. Das sind erhebliche zusätzliche Einnahmen, die sie für bessere Lehre und bessere Studienbedingungen einsetzen müssen. Zudem hat der Landtag einen Zukunftspakt beschlossen, der die Landeszuschüsse an die Hochschulen bis 2010 sichert – soviel Sicherheit hatten die Hochschulen in NRW noch nie zuvor. Und es macht klar, die Studienbeiträge dienen nicht dazu, an anderer Stelle zu sparen.
Gestaltungsfreiheit: Hochschulen können heute nicht mehr wie nachgeordnete Behörden vom Staat geführt werden. Selbstbewusste Hochschullehrer, Hochschulleitungen und Studierende wollen ihr ureigenes Umfeld eigenständig gestalten – und können das auch besser als der Staat. Und deshalb macht das Hochschulfreiheitsgesetz den Weg frei für echte Autonomie und Eigenverantwortung. Der Staat zieht sich zurück aus der Detailsteuerung, die Hochschulen bekommen Kompetenzen für Budget, Personal und Organisation und neue Möglichkeiten sich für Anregungen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur zu öffnen.
Die Hochschulen werden schneller, beweglicher und besser. Ihre Leitungen werden professioneller agieren können. Ihre Mitarbeiter werden sich stärker mit ihrer Hochschule identifizieren können. Und die Studierenden werden von dem Qualitätssprung profitieren.
Warum nicht alles so bleiben konnte, wie es war? Weil NRW die längsten Studiendauern und höchsten Abbrecherquoten hat, was nichts anderes bedeutet, als dass das Studium hier bislang teurer war als anderswo – auch, weil individuelle Lebensperspektiven eingeschränkt wurden. Eine verantwortliche und soziale Hochschulpolitik darf sich nicht damit zufrieden geben.
Natürlich machen neue Strukturen nicht automatisch alles besser. Aber sie geben Menschen, die Ideen haben und etwas verbessern wollen, die Möglichkeit dies auch umzusetzen. Diese Kräfte stärken wir. ANDREAS PINKWART
NEIN
Mit der Einführung von Studiengebühren und der Verabschiedung des Hochschulfreiheitsgesetzes wird sich die Situation an den Hochschulen keineswegs verbessern. Vielmehr nimmt eine wissenschafts- wie sozialpolitisch bedenkliche Entwicklung Konturen an.
Die seit Beginn des Semesters an einigen Hochschulen erhobenen Studiengebühren haben bereits Wirkung erzielt. Die Zahl der Studienanfänger ist um mehr als fünf Prozent zurückgegangen. Damit wird das Ziel, die Studierendenquote zu erhöhen, gefährdet.
Gerade Studieninteressierte aus ärmeren Familien scheuen aufgrund der finanziellen Belastungen den Weg an die Hochschulen. Denn die Sozialverträglichkeit reduziert sich auf die Möglichkeit, mit einem Schuldenberg ins Berufsleben zu starten. Damit sind die deutschen Bundesländer einzigartig in Europa. Anderswo wurden mit Gebühren auch Zuschüsse für bedürftige Studierende erhöht oder eingeführt.
Mittelfristig werden auch die Hochschulen nicht besser gestellt. Denn anders als propagiert, zieht sich das Land de facto aus seiner finanziellen Verantwortung zurück. Bis 2010 ist der Landeszuschuss für die Hochschulen eingefroren. Angesichts einer höheren Mehrwertsteuer und der allgemeinen Inflationsrate haben die Hochschulen unterm Strich weniger Geld zur Verfügung.
Mit dem Hochschulfreiheitsgesetz verabschiedet sich die Landesregierung endgültig von ihrer Verantwortung und entlässt sie nicht etwa in die Freiheit, sondern in die Abhängigkeit des Marktes. Hochschulen sollen künftig wie Unternehmen funktionieren.
Die neue Freiheit heißt, nicht mehr das wissenschaftlich Sinnvolle, sondern das ökonomisch Verwertbare anbieten zu können. Ein perfider Freiheitsbegriff. In der Lehre wird eine ausgedünnte Fächerlandschaft die Folge sein. In der Forschung werden Wissenschaftler noch mehr unter Druck gesetzt, unmittelbar verwertbare Ergebnisse zu liefern.
Verstärkt wird die Entwicklung durch den Abbau der demokratischen Strukturen. Künftig soll ein Hochschulrat, der maßgeblich von externen Unternehmensmanagern besetzt ist, die Geschicke der Hochschule leiten. Dabei ist auch fraglich, ob Personen, die in ihren Unternehmen nicht immer die solide Entwicklung, sondern die kurzfristige Gewinnmaximierung in den Vordergrund stellen, für diese Aufgabe geeignet sind. BenQ und Siemens lassen grüßen.
Nicht zuletzt sind es auch die Hochschul-Beschäftigten, deren Arbeitsplätze unsicherer werden. Künftig sind sie nicht mehr Beschäftigte des Landes, sondern des „Unternehmens Hochschule“, das seine Kosten auch durch Einschnitte bei den Beschäftigten senken kann. SASCHA VOGT