Klimawandel bringt Europa kalte Winter

WETTER Durch schmelzendes Eis in der östlichen Arktis könnte in unsere Breiten mehr eisige Luft strömen. Das ergeben neue Simulationen des PIK

BERLIN taz | Es klingt auf den ersten Blick paradox, aber es ist möglich: Die globale Erderwärmung könnte in Europa kältere Winter zur Folge haben. Ursache ist dabei nicht – wie schon häufig diskutiert und meistens verworfen – ein mögliches Versiegen des milden Golfstroms, sondern eine Erwärmung der Gewässer in der östlichen Arktis, die zum Rückgang der dortigen Eisfläche führt. Schrumpft das Eis auf dem Meer, werden die unteren Luftschichten über dem Wasser erwärmt, was insgesamt die Luftströmungen verändert. Die Folge: Nach Europa und Nordrussland könnten verstärkt kalte Luftmassen aus östlichen Richtungen, etwa dem kalten Sibirien, herantransportiert werden; die Folge wären kalte Winter wie 2005/2006.

Kälte bestätigt Erwärmung

Das jedenfalls ist das Ergebnis einer Studie, die Vladimir Petoukhov, Physiker am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), jetzt zusammen mit Vladimir A. Semenov im Journal of Geophyisical Research veröffentlicht hat. „Diese Störungen der Luftströmungen könnten die Wahrscheinlichkeit des Auftretens extrem kalter Winter in Europa und Nordasien verdreifachen“, sagt Petoukhov. „Harte Winter wie der des vergangenen Jahres widersprechen nicht dem Bild globaler Erwärmung, sondern vervollständigen es eher.“

Die Forscher stützen ihre Aussagen auf Simulationen mit Hochleistungsrechnern. Dabei haben sie sich auf das Meeresgebiet der Barents- und der Karasee konzentriert, das von Norwegen bis ins westliche Sibirien reicht. Ausgerechnet im kalten europäischen Winter 2005/2006 wurde dort eine drastische Verkleinerung der Eisdecke beobachtet, die als Folge der besonders in der Arktis spürbaren Erderwärmung gilt. Wenn die Meeresoberfläche frei von Eis ist, verliert sie viel Wärme an die kalte Luft – mit Folgen für die Luftströmungen.

Die Forscher fütterten nun ihren Computer mit Szenarien, bei denen die Eisdecke in der östlichen Arktis von hundert Prozent schrittweise auf ein Prozent verringert wurde. Ergebnis war eine „ziemlich deutliche nichtlineare Reaktion der Lufttemperatur und der Winde“, sagt Petoukhov. Seine Schlussfolgerung: „Wer meint, das Schrumpfen der Eisfläche auf einem weit entfernten Meer müsse ihn nicht kümmern, liegt falsch.“ RICHARD ROTHER