: Ganz viele Einzeltäter
AUS BERLIN JENS KÖNIG
Der Bundeswehr fällt es angesichts immer neuer Skandalfotos schwer, die Schändung von Leichenteilen durch deutsche Soldaten in Afghanistan als Taten verwirrter Einzeltäter mit niederen Dienstgraden herunterzuspielen. Die Bild-Zeitung hatte am Wochenende eine dritte Serie von Fotos aus Afghanistan gedruckt, wonach offenbar viel mehr Soldaten an den Totenschändungen beteiligt waren als bislang bekannt. Die Fotos von Ende 2003 und Anfang 2004 mit Totenschädeln und Knochen zeigen deutsche Fallschirmjäger, nachdem zuvor Gebirgsjäger und Panzergrenadiere genannt worden waren. „Viele haben eine Digitalkamera dabei, und fast jeder hat einen privaten Laptop im Camp“, berichtet ein Soldat. „In der Freizeit werden die Fotos untereinander getauscht.“
Vereinzelt gibt es Hinweise darauf, dass auch hochrangige Offiziere von den Fotos gewusst haben. Bundeswehroffiziere im nordafghanischen Kundus seien mehrfach von Afghanen gebeten worden, Berichten über Leichenschändungen in Kabul nachzugehen, berichtete die Leipziger Volkszeitung. Das Blatt berief sich dabei auf einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).
Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sagte, alle Hinweise auf eine Verstrickung höherer Dienstgrade in den Skandal würden ernst genommen. Er werde mit Hochdruck ermittelt. „Aber wir haben bisher keinerlei Erkenntnis darüber, dass auch die Truppenführer Kenntnis von diesem Sachverhalt hatten.“ Ein Sprecher Jungs bezeichnete es als normal, dass im Zuge der Aufklärungsbemühungen auch im Umfeld der verdächtigten Soldaten ermittelt werde. Dazu zählten auch Befragungen von Vorgesetzten und höherer Dienstgrade. „Daraus den Schluss zu ziehen, sie hätten Kenntnis von den Vorfällen gehabt, wäre verfrüht“, sagte der Sprecher. Es werde jedoch ohne Rücksicht auf Dienstgrade geprüft, wer etwas von den Vorfällen gewusst habe.
In dieser Krise setzte der Verteidigungsminister ein symbolisches Signal: Er sagte eine Reise nach China und Japan kurzfristig ab. Gleichzeitig schickte Jung den Beauftragten der Bundeswehr für Erziehung und Ausbildung, General Dieter Naskrent, zur Aufklärung der Vorwürfe nach Afghanistan. Darüber hinaus räumte er ein, dass die deutsche Armee vor solchen Skandalen nicht gefeit sei: „Fairerweise muss man sagen, die Bundeswehr ist ein Stück Spiegelbild unserer Gesellschaft, und leider Gottes gibt es ja auch solche Situationen in unserer Gesellschaft. Aber es gilt, dass, wer sich so verhält, in der Bundeswehr keinen Platz hat.“
Die bequeme Theorie von verwirrten jungen Soldaten als Einzeltätern wird auch durch Hinweise darauf widerlegt, dass der respektlose Umgang mit Toten unter Bundeswehrsoldaten in Krisengebieten gängige Praxis ist. „Ich habe selbst im Kosovo mitbekommen, dass junge Soldaten bei Exhumierungen oder in der Pathologie Fotos gemacht haben, die unter der Hand im Lager kursierten, ohne dass die Vorgesetzten offensichtlich davon etwas mitbekommen haben“, sagte der Truppenpsychologe und Oberst der Reserve, Horst Schuh, der Bild am Sonntag. Die Skandalfotos aus Afghanistan hätten ihn daher nicht überrascht. Es würde ihn auch nicht wundern, „wenn weitere Bilder dieser Art auftauchen“.
Die meisten jungen Soldaten würden auf Tod und Verwundung schockiert reagieren, sagte der Militärpsychologe. Es gebe aber auch Soldaten, „auf die das Makabre eine bizarre Anziehungskraft ausübt“. Dazu komme ein Imponiergehabe, das sich in der Gruppe verselbstständigen könne. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums kommentierte die Vorwürfe kurz und bündig: Für solche Vorfälle unter Bundeswehrsoldaten in anderen Gegenden der Welt gebe es bislang „keinerlei Indizien“.