Gebucht, um zu verlieren

Der Boxer Bruce „der Blitz“ Özbek aus Stade war mal ein Champion im Kickboxen. Wie sein Leben nach den fetten Jahren aussieht, hat der Filmemacher Dirk Rübesamen in der Dokumentation „Die Bruce-Özbek-Story“ festgehalten. Morgen läuft der Film zum Start der 48. Nordischen Filmtage in Lübeck

Interview: Klaus Irler

taz: Herr Rübesamen, worum geht es in der „Bruce-Özbek-Story“?

Dirk Rübesamen: Es geht um den Boxer Bruce Özbek aus Stade, der sich in einem wenig glamourösen Bereich des Box-Business aufhält. Er trainiert in Hamburg im Keller der Kiez-Kneipe „Zur Ritze“ und ist immer auf der Suche nach Geld und Anerkennung. Die äußeren Umstände weisen auf ein trauriges Karriereende mit vielen Niederlagen hin und er gibt trotzdem die Hoffnung nicht auf, irgendwann noch einmal groß rauszukommen. Parallel zum Boxen versucht auch noch eine Karriere als Sänger in der Türkei. Özbek ist 42 Jahre alt und ein Journeyman.

Was ist ein Journeyman?

Das ist jemand, der von Boxabend zu Boxabend reist. Ein Mann auf Abruf, der die Lücken füllt, wenn jemand ausfällt. Der Journeyman verdient zwar sein Geld mit dem Boxen, plant aber keine Karriere mehr. Er wird dafür gebucht, dass er verliert. Wenn er trotzdem einen harten Kampf zeigt und sich Mühe gibt, dann sagen die Leute respektvoll: Das ist ein Journeyman.

Warum macht man sowas, wenn man keine Perspektive mehr auf eine Karriere hat?

Die machen das, weil ihnen nichts anderes übrig bleibt. Einen Überraschungssieg gegen einen Favoriten zu schaffen, ist bei den meisten komplett ausgeschlossen: Die Journeymen boxen gegen gute, trainierte Leute mit Trainerstab, Masseuren und Ärzten – alles Dinge, die sie nicht haben. Sie kriegen die Anerkennung dafür, dass sie den Kopf hinhalten. Aber es ist unausweichlich, dass die Leute irgendwann nicht mehr gebucht werden, weil sie nichts mehr bringen. Die Kämpfe werden weniger, die Bezahlung geht runter und irgendwann sitzt man da und hat nicht mal mehr den Kick, im Rampenlicht zu stehen.

Das klingt nach einem Film über Hoffnungslosigkeit.

Nein, der Film handelt nicht von Hoffnungslosigkeit, sondern von Hoffnung. Eine der zentralen Fragen war: Wie kann man morgens aufstehen und wissen, dass man abends verliert? Normalerweise wird beim Boxen immer über die strahlenden Sieger geredet und nicht über die Verlierer. Die Journeymen sind Verlierer, aber sie ziehen da für sich was raus.

Nämlich?

Die sagen: Hauptsache, die Leute sehen, dass man einen guten Kampf gemacht hat. Es geht um Anerkennung und Respekt. Und die Hoffnung ist da immer noch dabei.

Trotzdem sind die Journeymen Tag für Tag damit konfrontiert, dass sie Verlierer sind. Welche Spuren hinterlässt das in der Psyche der Boxer?

Man wird zu jemandem, mit dem umgesprungen wird, der von Veranstaltern um seine Gage betrogen wird. Die Leute lassen das auch mit sich machen, das ist ein psychischer Effekt. Das passiert Siegern nicht so leicht.

Und wie verkraften die Journeymen ihren Job körperlich?

Wenn man so viele Kämpfe macht und so oft auf den Kopf kriegt, ist das gar keine Frage, dass da Schäden bleiben. Es gibt da beispielsweise den so genannten Drunken Man Walk, das sind die Boxer, die besonders lässig schlendern. Das ist ein Zeichen dafür, dass ein Schaden im Gehirn vorliegt, der die Koordination beeinträchtigt.

Wie geht der Protagonist ihres Films, Bruce Özbek, mit dem Verlieren um?

Er hat sich auf jeden Fall schon ans Verlieren gewöhnt. Man merkt das daran, dass er schon einen Rechtfertigungsmechanismus entwickelt hat. Zum Beispiel sagt er nach den Niederlagen: Ich habe zu wenig trainiert. Oder: Ich hab ja vorher einen getrunken. Vor dem Kampf glaubt er immer, er könne alles reißen und hinterher hat er dann sofort eine Entschuldigung parat.

Nun möchte niemand gerne als Verlierer portraitiert werden. Wie sind Sie diesem Problem begegnet?

Das erste Problem war die Selbstreflexion. Man will ja dicht an die Person rankommen und auch mal ein Eingeständnis haben: Ja, ich bin ein Verlierer. Aber bei Bruce gibt es das nicht wirklich. Er sieht sich immer noch als den großen Champion, der er mal war und sagt: Jetzt habe ich mal verloren, weil ich zwei Tage zuvor gesoffen habe. Aber eigentlich versucht er sich als den großen Champion zu sehen, der jeden schlagen kann. Obwohl er letztendlich auch weiß, dass das nicht mehr stimmt. Aber er verdrängt es eben.

Was hat er gesagt, als Sie ihm den Film gezeigt haben?

Ich habe schon Angst gehabt, weil ich dachte: Jetzt wird er auch merken, dass ich ihn nicht als den strahlenden Helden zeige. Er hat dann gesagt: “Du hast recht, ich bin der Journeyman. Ich bin allzeit bereit, dass ich einen ordentlichen Kampf abliefere.“ Dadurch ist es dann leichter geworden, mit ihm über das Thema Verlieren zu reden.

Boxt Bruce Özbek immer noch?

Ja, er ist gerade zurückgekommen aus Kroatien. Da hat er gegen Alexander Petkovic, die ehemalige Hoffnung von Universum, geboxt und ist in der zweiten Runde k.o. gegangen. Er ist dort auch wieder um sein Geld betrogen worden und hat jetzt einen Anwalt eingeschaltet.

Außerdem hat er ja als Sänger eine CD aufgenommen, die müsste demnächst in der Türkei veröffentlicht werden. Alle Türken, die daran beteiligt waren, sagen, die Musik sei super. Ich kann das nicht so gut beurteilen. Aber das könnte was werden.