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Archiv-Artikel

Die Suche nach der Erinnerung

Der Genozidbelastet bis heute dasserbisch-kroatischeVerhältnis

AUS SARAJEVOERICH RATHFELDER

„Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg diskutieren wir in unserer Region gemeinsam über den Holocaust.“ So eröffnete am vergangenen Wochenende in Sarajevo der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Sarajevo, Jakob Finci, den Kongresses „Stand der Holocaustforschung in Südosteuropa“.

Mehr als 100 Wissenschaftler aus allen Teilen des früheren Jugoslawiens, Rumäniens, Moldawiens, Albaniens, Mitteleuropas und der USA versuchten drei Tage lang gemeinsam den Stand der Forschung zu systematisieren. Und zu fragen, welchen Stellenwert die Erinnerung an den Holocaust in den Gesellschaften Südosteuropas heute besitzt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Jüdischen Gemeinde Sarajevos und dem Goethe-Institut.

Denn nach dem Ende des Kommunismus kam es in fast allen diesen Ländern zu einem Erstarken nationaler und nationalistischer Sichtweisen. Und gerade diese nationalistischen Bewegungen waren es ja, die in den meisten Ländern der Region mittelbar oder unmittelbar in den Holocaust verstrickt waren.

Dass mit Nazi-Deutschland verbündete Staaten nicht unbedingt den Holocaust mitvollziehen mussten, zeige das Beispiel Bulgarien, erklärte Steven F. Sage aus Washington. Das Land habe sich geweigert, „seine“ Juden in die Gaskammern abtransportieren zu lassen. Alle politischen Kräfte, vom König über die orthodoxe Kirche und die Kommunisten, nähmen für sich dieses Verdienst bis heute in Anspruch. Getrübt würde allerdings dieses Bild durch die Tatsache, dass bulgarische Truppen, die im Ausland, wie etwa in Mazedonien operierten, dort Juden verfolgten und an die Nazis auslieferten und dass man in den Arbeitslagern an der Küste 20.000 Juden zusammenfasste und die Strategie der „Vernichtung durch Arbeit“ verfolgte. Immerhin begann aber schon am 7. März 1945 das erste Holocaust-Verfahren und wurden 64 Täter angeklagt.

Insbesondere das Ustascha-Regime, das formell auch die Herrschaft über Bosnien und Herzegowina übernahm, tat sich mit der Verfolgung von Minderheiten hervor. Schon kurz nach der Machtübernahme begannen die Verhaftungen von Oppositionellen, von Juden, Serben, Roma und Homosexuellen. Im berüchtigten Konzentrationslager von Jasenovac wurden nach Aussagen des ehemaligen Chefs der Gedenkstätte des Konzentrationslagers, dem jetzigen Leiter des Museums der Genozidopfer in Belgrad, Jovan Mirković, mehr als 90.000 Menschen ermordet.

Nach Emily Greble Balic von der Stanford Universität war die Anfangszeit der Ustascha-Herrschaft in Sarajevo noch von Chaos geprägt. Zwar übernahmen Kroaten die Administration der Stadt, doch der Stellvertreter blieb nach der multikulturellen Tradition der Stadt ein Serbe, und in der Verwaltung waren weiterhin Juden beschäftigt. Die Deutschen jedoch begannen sogleich mit den Verhaftungen, was Unruhe in der Stadt auslöste. Als die SS im Frühjahr 1942 auch die mehr als 3.000 Juden, die zum Katholizismus oder zum Islam übergetreten waren, verhaften wollte, protestierten selbst jene Muslime und Katholiken, die nach dem Einmarsch der Deutschen eine antisemitische Erklärung abgegeben hatten. Viele Menschen versuchten zu helfen, einem Teil der jüdischen Bevölkerung gelang es, in die italienische Besatzungszone zu entkommen und sich nach Mussolinis Sturz 1943 dort zu verstecken. Andere schlossen sich den kommunistischen Partisanen an.

„Das Bild des Ustascha-Staates ist also nicht ganz einheitlich zu sehen“, sagt Greble Balic, man müsse weiterforschen. Trotz dieses partiellen Widerstands von Bürgern gelang es den Nazis und Ustaschen, insgesamt mehr als 60.000 der 80.000 Juden Jugoslawiens im Land selbst oder in Auschwitz zu töten, stellte der Wiener Professor Walter Manoschek fest. „Serbische Juden wurden in Serbien in fahrbaren Gaskammern umgebracht.“

Der Genozid an den Juden und Serben in Jasenovac und anderen Orten des Grauens belastet bis heute das serbisch-kroatische Verhältnis. Denn an der Diskussion um das Konzentrationslager entzündete sich Ende der Achtzigerjahre ein Konflikt, der sogar Bestandteil der gegenseitigen Propaganda wurde, die schließlich 1991 in einen neuen Krieg führte. Vuk Drasković, der heutige serbische Außenminister, sprach damals von mehr als einer Million Toten in Jasenovac. Auf der Gegenseite versuchte der damalige Präsident Kroatiens, der ehemalige Partisanengeneral und Historiker Franjo Tudjman, die Zahlen herunterzudrücken und sprach von 30.000 bis 40.000 Toten. Einige antisemitische Äußerungen Tudjmans trugen zur Verschärfung des Konflikts bei. Bis heute hat der Holocaust in den meisten Schulbüchern der Region keinen Stellenwert, vor allem nicht in Kroatien. In diesen Büchern kommen Auschwitz und Jasenovac gar nicht erst vor.

Jovan T. Byford von der Open University Milton Keynes und Emil Kereni von der Universität Michigan werfen andererseits der serbischen Geschichtsschreibung vor, den Genozid an den Serben zwischen 1941 und 1945 mit dem Holocaust an den Juden gleichzustellen. Auf den Inschriften auch neuerer Denkmäler würden Serben und Juden gleichgesetzt. Damit würde der Holocaust an den Juden für die serbische nationale Bewegung instrumentalisiert.

Als die serbische Professorin Janja Beč (Sarajevo, Hamburg) in ihrem Beitrag über Oral History erklärte, am Konzentrationslager Zemun (bei Belgrad) seien auch serbische Milizen des Nedić-Regimes beteiligt gewesen, erntete sie von anderen serbischen Teilnehmern heftigen Widerspruch. Immerhin wurde auf dem Kongress deutlich, dass einige serbische Wissenschaftler von alten Theorien abzurücken beginnen. Die Frage jedoch, wie der seit 600 Jahren bestehende serbische Mythos, in der Geschichte immer nur Opfer gewesen zu sein, mit den Untaten serbischer Milizen des Nedić-Regimes in der damaligen Zeit und im bosnischen Krieg 1992–95 miteinander zu verbinden ist, will der aus einem Kloster in Montenegro stammende Mönch Jovan Ćulibrk, der zurzeit zusammen mit anderen orthodoxen Priestern am Jad-Vaschem-Institut in Israel über den Holocaust forscht, nicht beantworten.