piwik no script img

Archiv-Artikel

Nebenwirkung garantiert

RELEASEPARY Das Staubgold-Label präsentierte auf seiner ersten Nacht im Berghain Flying David Cunningham und Klangwart

Auch Legenden können mal langweilen. David Cunningham ist Musikerlegende mit einer beeindruckenden Liste an Projekten und Kollaborationen. Am ehesten kennt man den 1954 geborenen Briten als Kopf und Produzenten der Postpunk-Band The Flying Lizards, mit der er in den Achtzigern seltsame Coverversionen von Pophits ausheckte. Auch mit dem Komponisten John Cage, den Hamburger Pop-Experimentatoren Palais Schaumburg oder Ute Lemper machte er gemeinsame Sache. Am Donnerstag gab er sich solo und in der Kantine des Berghain die Ehre, eingerahmt von den Staubgold-Labelkollegen Klangwart und Reuber.

Grund der Zusammenkunft war das Erscheinen des fünften Albums von Reuber alias Timo Reuber. Auch von den Flying Lizards ist dieser Tage eine Platte in die Läden gelangt: „The Secret Dub Life of the Flying Lizards“. Die Aufnahme von 1978, die vor 14 Jahren lediglich als CD herauskam, wurde jetzt von Staubgold zum ersten Mal auf Vinyl gepresst. Statt ein Dub-Album im herkömmlichen Sinne einzuspielen, hat Cunningham damals den Versuch unternommen, mit einem fertigen Masterband, bei dem sich die Tonspuren nicht mehr einzeln bearbeiten lassen, genau die Effekte zu simulieren, wie sie im Dub typisch sind: Isolierte Instrumente wie Bass oder Schlagzeug stehen plötzlich für sich oder hallen unerwartet nach und fügen sich so zu einem Remix des ursprünglichen Materials.

Bei seinem Auftritt hatte Cunningham jedoch alle Freiheiten, die von ihm erzeugten Gitarrenklänge zu verfremden oder zu loopen. Besonders von den Möglichkeiten der Wiederholung einzelner Töne machte der Musiker ausgiebig Gebrauch, um so langgezogene Spannungsbögen im Raum zu installieren, freilich ohne immer die Spannung zu halten. Das Verfahren erinnerte auffällig stark an seinen einstigen Mitstreiter Robert Fripp, der unter dem Markenzeichen „Frippertronics“ seine Gitarrenklänge mit Hilfe von Tonbändern zu Endlosschleifen arrangierte. Bis auf die computergestützte Arbeitsweise gab es bei Cunningham nur geringe Unterschiede im Ansatz, im Ergebnis geriet sein Soundscape-Exkurs jedoch eher zäh und statisch.

Deutlich dynamischer und energischer hingegen gaben sich Klangwart, das Duo aus Reuber und Staubgold-Chef Markus Detmer, denen der Schweizer Klangmanipulationspionier Andy Guhl mit selbst gebauten Apparaturen und verfremdeten Echtzeit-Videobildern zur Seite stand. Ihre Collagensuite aus Synthesizerklängen, Field Recordings und digitalem Schwirren entfaltet in ihrer geräuschhaft-abstrahierten Psychedelik eine fast bedrohliche Sogwirkung, zu der die von Hand sabotierten Projektionen eigentlich gar nicht nötig gewesen wären: Bei der Musik stellen sich die Bilder als Nebenwirkung ganz von selbst ein.

Ähnlich suggestiv verfuhr Reuber dann später bei seinem Soloauftritt, wobei er auf seinem vorgestellten Album „Ring“ insgesamt fokussierter und puristischer vorgeht als Klangwart und auch vor gelegentlichen Techno-Beats als Arbeitsmaterial nicht zurückschreckt. Seine Körpermusik ist weniger zum Tanzen als zum Pulsbeleben gedacht. Ob Höhenrausch-Ambient oder Freiform-Clubtrack: Der Kontrast zu Cunningham hätte kaum größer sein können.

TIM CASPAR BOEHME

■  „The Secret Dub Life of the Flying Lizards“, „Ring“ (beide Staubgold)