Kino auf Bambusstäben

FILM MOBIL Bürofassaden werden zu Leinwänden, Passanten zu Darstellern: Seit elf Jahren organisiert der Hamburger Verein „A Wall is a Screen“ seine Kurzfilm-Touren – und das inzwischen auch in Odessa und Mumbai

„Es glauben immer noch Leute, dass wir guerillamäßig durch die Städte ziehen“

Sven Schwarz

VON DORIS BRANDT

Eine Sackkarre, gelbe Postkästen, Metallkoffer, ein Fernseher älterer Baureihe, Bierkästen und an der Wand eine Weltkarte, übersät mit Stecknadeln: Sie markieren alle Stationen des bisherigen Wirkens von „A Wall is a Screen“. Die sechs Mitglieder des Vereins – Sarah Adam, Sylvia Grom, Sabine Horn, Peter Haueis, Sven Schwarz und Peter Stein – arbeiten auch hauptberuflich in der Film- und Fotobranche. Und größtenteils sind sie verbandelt mit der Hamburger Kurzfilmagentur, die im selben Haus in Hamburg-Ottensen sitzt, oder dem Kurzfilmfestival.

Dessen technischer Leiter etwa ist Peter Stein, der ansonsten die Videotechnik am Deutschen Schauspielhaus betreut. Vor elf Jahren hatte er mit zwei Kolleginnen eine Idee: „Wir machten zwar Kino in Kinos, aber wir wollten etwas draußen machen“, erinnert er sich. Da nämlich sei es „netter“. So entstand auch eine Mission: auf einem Spaziergang durch eine Stadt Kurzfilme zu zeigen. Eine Bürofassade in eine Leinwand zu verwandeln und sie mit dem darauf Projizierten verschmelzen zu lassen.

Filmromantik in die vergessenen Ecken einer Stadt zu bringen, das hat durchaus einen politischen Hintergrund. So möchte der Verein die kommerziell genutzten Gebäude für etwas anderes, Nichtkommerzielles nutzen. Die erste Tour, „mit Ghetto-Blaster und fiesem Beamer“, führte 2003 in eine hochpreisige Konsummeile: Die Fassade eines Designer-Geschäfts nahe der Binnenalster wurde zur Leinwand für einen Kurzfilm über das Frankfurter Drogen-Milieu.

Auf einer normalen „A Wall is a Screen“-Tour werden neun jeweils rund zehnminütige Filme gezeigt, und das an Fassaden, die einerseits einen Bezug zum Film herstellen – und andererseits versteckt abseits der Sehenswürdigkeitspfade liegen. Die Zuschauerzahlen variierten, mal kamen 150 Menschen, mal sogar 1.500. Die Touren sind kostenlos und für jeden zugänglich, und obwohl der Verein keine Werbung macht, wächst die Fangemeinde – und das international: Die Hamburger Kurzfilmvorführer bespielen inzwischen auch Häuserfassaden in Finnland, Indien oder Mazedonien.

Das Faszinosum – für die Macher wie auch für die Zuschauer – ist das Unerwartete: Planen lassen sich die Filmvorführungen nur zu Teilen. Von schwierigen Witterungsverhältnissen und nicht einschätzbaren Zuschaueraufkommen abgesehen, waren geplante Fassaden-Leinwände in der Vergangenheit plötzlich von Bauplanen umhüllt. Oder am Abend der Tour übertönte Feuerwerk die Vorführung. Im Berliner Regierungsviertel kesselte eine Polizei-Hundertschaft einige Hundert Menschen ein, die einen Kurzfilm über die Birthler-Behörde ansahen, weil keine Genehmigung vorzuliegen schien. Bloß: Die Vorführung war der offizielle Beitrag des Landes Hamburg zum sechzigjährigen Bestehen des Grundgesetzes. Und so kam die Genehmigung doch noch an, und von einer Anzeige wurde abgesehen. Die Hundertschaft verlieh dem ohnehin schon beklemmenden Film noch ein wenig mehr Beklemmung.

Dass eine Mauer nicht nur eine Leinwand sein kann, sondern das Leben auch ein Film, zeigt die Sache mit Helmut: Auf einer Tour durch Hamburg wurde der surreale Kurzfilm „Ich bin es Helmut“ an die Wand des Hamburger Übersee-Clubs (Zielsetzung: „die Stellung Hamburgs in der Welt zu fördern“) projiziert. Er handelt von einem 57-Jährigen, Helmut, der sich plötzlich auf seinem eigenen 60. Geburtstag wiederfindet. An diesem Abend verschwanden hin und wieder festlich gekleidete Gäste in Smoking und Abendkleid in der Leinwand, sprich im Inneren des Übersee-Clubs. Nach kurzer Zeit erkundigte sich eine Frau dieser Festgesellschaft, ob der Film wirklich von einem Helmut handele, der Geburtstag habe – denn ein solcher feiere ja drinnen. Als dieser reale Jubilar auf die Straße trat, applaudierten 400 Zuschauer. Ein unbezahlbarer Moment.

„Was wir machen, funktioniert in Ramallah genauso gut wie in Helsinki, Mumbai oder Regensburg“, sagt Sarah Adam. Aber was genau reizt die Macher, einen Großteil ihrer Freizeit in „A Wall is a Screen“ zu investieren? Sylvia Grom, hauptberuflich Fotografin, beschreibt es so: „Die Kombination loszuziehen, durch eine fremde Stadt zu laufen und neue Wände zu suchen, sich die Filme überlegen und dann noch ein dankbares Publikum vorzufinden.“ Grom war selbst lange Fan der Kurzfilm-Touren. Seit einem Jahr ist sie Teil der Gruppe und sucht auf der ganzen Welt nach geeigneten Fassaden, durchforstet das „A Wall is a Screen“-Archiv von über 900 Kurzfilmen sowie die für die Vorführungen zur Verfügung gestellte Datenbank der Kurzfilmagentur mit weiteren 40.000 Arbeiten. Die Werkzeuge, die der Gruppe komplett autarkes Arbeiten ermöglichen, sind schnell aufgezählt: Sackkarre, Metallkoffer mit Abspieltechnik, Lautsprecher, Beamer, Stative, Stromgenerator oder Batterie.

Auf Reisen gehen sie immer nur zu dritt, mehr wäre den Gastgebern finanziell nicht zumutbar. Vor Ort finden sich immer Helfer und Improvisationsmöglichkeiten. So lieh man den Karren eines indischer Straßenkehrers oder Lautsprecher von der Odessaer Oper. Neben vielen Freundschaften entstanden über die Jahre auch ganz eigene Einblicke: So haben die Filmkünstler gelernt, dass es in England keine Bierkästen aus Plastik gibt, die den Beamer hätten stützen können, dafür robuste Milchkästen – die man aber nicht in Kneipen vorfindet.

„Es gibt immer noch Leute, die glauben, dass wir guerillamäßig durch die Städte ziehen und dann spontan an Häuserwänden unsere Filme zeigen“, sagt Sven Schwarz, im Hauptberuf Veranstaltungsleiter des Hamburger Kurzfilmfestivals. Das Ganze sei aber vielmehr „durchplant“: „Auch liegen uns die Genehmigungen der jeweiligen Stadt vor. Das merken die Leute nicht unbedingt, was wir gut finden.“ So bleiben Kino abseits der filmischen und touristischen Hauptstraßen, Bambusstäbe als behelfsmäßige Stative und Equipment-Transport per Straßenkehrer-Karren. Dieser schmückt jetzt, auf einem Foto, die Büropinnwand in Hamburg-Ottensen.

Infos: www.awallisascreen.com, Geplante Kurzfilm-Touren in Hamburg: 24. 5. und 6. 6.