: Klein, rot und gut
RINDER Idealisten in Wittgenstein und Meinerzhagen züchten Rotes Höhenvieh
VON HEIKE HOLDINGHAUSEN
Ulm möchte man lieber nicht im Dunkeln begegnen. Er ist zwar klein, um die ein Meter dreißig, aber stämmig. Er hat Hörner, und er kann nachdrücklich muhen. Auch jetzt muht er laut, an diesem kühlen Novembertag in Wittgenstein nördlich von Siegen. Ulm und seine siebenköpfige Herde traben zum Stacheldrahtzaun, Besucher angucken. So eine trabende Kuhherde wirkt recht imposant. Aber das Rote Höhenvieh gilt als friedfertig. Und nicht nur das.
„Wer einmal ein Steak vom Höhenvieh gegessen hat, will kein anderes mehr“, sagt Bauer Bernd Neumann. Feinfasrig, zart, einfach schmackhaft sei das Fleisch der uralten Rasse. Noch bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts standen in den deutschen Mittelgebirgen die kleinen rotbraunen Rinder auf den Weiden, als Wittgensteiner, Harzer, Vogelsberger Schlag. Sie gaben Milch, Fleisch und zogen Pflug und Wagen – bis die Trecker Einzug auf den Höfen hielten und mit ihnen spezialisierte Milchkühe und Fleischrinder. Heute zählt die Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen das Rote Höhenvieh zu den „stark gefährdeten“ Tierrassen.
Siebzig Milchkühe stehen auch im Stall von Bernd Neumann. Zwar ist der 48-Jährige Vorsitzender des Vereins zur Förderung der Rotviehzucht Nordrhein-Westfalen und beherbergt die kleine Vereinsherde auf seinem Hof. Doch sein Geld verdient er mit den Rotbunten. Deren Euter sei melkmaschinenfreundlich, „die moderne Technik passt eben eher zu Milchkühen“, sagt der Landwirt. Außerdem geben sie mit acht-, neuntausend Litern Milch im Jahr mehr als doppelt so viel wie das Höhenvieh. Der Preis dafür ist hoch: Die modernen Hochleistungskühe sind krankheitsanfällig. „Das Höhenvieh ist eine wichtige Genreserve, solche Sorgen haben die nämlich nicht“, sagt er. Darum sei es wichtig, die vom Aussterben bedrohte Rasse zu erhalten.
„Ach ja, Papas Hobby“, sagt dazu sein Sohn Guido. Der 22-Jährige arbeitet mit in der Landwirtschaft und will sie mal übernehmen. Seit 301 Jahren ernährt der Hof die Familie Neumann, doch jetzt kann er das nicht mehr. Siebzig Rotbunte und 100 Hektar Wiesen und Acker reichen nicht aus für die beiden Familien von Vater und Sohn – der Milchpreis. Darum leitet der Senior seit dem Sommer einen Milchviehbetrieb im Osten mit 500 Tieren, „das rechnet sich dann“, sagt Guido. In der Milchviehhaltung sieht er keine Zukunft. „Wenn die Milchquote der EU fällt, sind wir weg“, sagt er nüchtern. Geflügelmast könnte gehen, überlegt er. Und das Rote Höhenvieh? Selbst vermarkten? Bio? „Keine Chance“, sagt der junge Landwirt. „Wir haben zu wenig Land, wir kämen nie auf die nötigen Stückzahlen.“
Auch Rasmus Berghaus hat sich seine ersten beiden roten Höhenviecher aus Idealismus gekauft. „Als die erste Tochter kam“, sagt der Bäcker, „wollte ich, dass sie mit Tieren aufwächst.“ Also zogen zwei Kühe auf seinen kleinen Hof im sauerländischen Meinerzhagen-Valbert. Inzwischen hat der 42-Jährige zwei Kinder und 34 Rinder. Sein Hof befindet sich im zweiten Jahr der Umstellung zum Biobetrieb. Sein Rindfleisch vermarktet er selbst, zu 6,80 Euro das Kilo. Werbung macht er dafür nicht. „Ich hab ja eh Wartelisten“, sagt Berghaus, „mehr könnte ich gar nicht verkaufen.“ Wichtig ist die Direktvermarktung. Konventionelle Schlachthöfe zahlten ihm 2,50 pro Kilo. „Die Teilstücke meiner Rinder sind kleiner als die der großen Mastrassen“, sagt er, „und auf die Größe kommt es an.“ Die Qualität des Fleischs spiele leider keine Rolle.
Da will er nicht mitmachen, obwohl er findet, dass seine kleinen Rinder es auch wirtschaftlich durchaus mit den großen Turbokühen aufnehmen können: „Das Höhenvieh braucht kein Kraftfutter, die kommen im Sommer mit Gras von der Weide aus und im Winter mit Silogras.“ Die Rechnung „ein Kilo Getreide erzeugt ein Kilogramm Rindfleisch“ gehe für ihn nicht auf. „Ich brauche gar kein Getreide“, sagt er. Allerdings komme er ohne staatliche Zuschüsse nicht aus. Zehn Euro pro Kilogramm müsste er einnehmen, damit sich der Fleischverkauf für ihn rechnet.
Weil er diesen Preis nicht durchsetzen kann, ist er auf die Umstellungsprämie angewiesen, die Biolandwirte erhalten, solange sie ihre Waren noch nicht mit einem Siegel verkaufen können; außerdem auf die 120 Euro pro Kuh, die für den Erhalt alter Haustierrassen gezahlt werden. „So zahlen die Leute letztlich doch den höheren Preis, nur über die Steuern“, sagt Berghaus seufzend. „Ist doch eigentlich Quatsch.
Er will seine Herde vergrößern, 60 Tiere peilt er an. Auch wenn das Höhenvieh bekannter wird und die Mund-zu-Mund-Propaganda ihm Kunden zutreibt: Die Zahl der Landwirte, die mit der alten Rasse arbeiten, bleibt winzig. „Die Bauern sind halt in die Massenproduktion reingezwungen worden“, sagt Berghaus. Die Wertschätzung des Höhenviehs als gesunde Alternative zur überzüchteten Turbokuh oder als Genreserve setze erst ziemlich spät ein. Dabei ist es schön, inmitten saftig-grüner Berge Ulm und seiner Herde zu begegnen. Es muss ja nicht gerade nachts sein.