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Archiv-Artikel

Nüchternheit soll belohnt werden

Weil der Alkoholmissbrauch in Berlin zunimmt, haben Präventionseinrichtungen einen „alkoholfreien November“ ausgerufen. Wer 30 Tage lang auf den Rausch verzichtet, kann Geldprämien gewinnen – gesund ist es allemal

Die BerlinerInnen saufen zu viel – und sie fangen immer früher damit an. Die erste Erfahrung mit Alkohol machen die Jugendlichen der Hauptstadt statistisch gesehen mit 11,6 Jahren, den ersten Alkoholrausch erleben sie mit 13. Von den Folgen des Konsums sind die ärmeren Bezirke am stärksten betroffen: In Friedrichshain-Kreuzberg starben laut dem jüngsten Gesundheitsbericht des Senats zwischen 2001 und 2003 nicht weniger als 16,3 von 100.000 EinwohnerInnen an einer alkoholbedingten Lebererkrankung.

Diese Entwicklung wollen Präventionseinrichtungen aufhalten: Die Planungs- und Koordinierungsstellen für Gesundheit an den Bezirksämtern Friedrichshain-Kreuzberg, Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf haben jetzt gemeinsam mit dem Blauen Kreuz, der Diakonie der Fachstelle Suchtprävention und der Stiftung „Sozialpädagogisches Institut Walter May“ die Kampagne „Nüchtern betrachtet“ ausgerufen. Ihre Idee: Ab heute sollen die BerlinerInnen 30 Tage lang keinen Alkohol anrühren. Unter denen, die trocken bleiben, werden einmal 1.000 Euro und zehnmal je 200 Euro verlost.

Wolfgang Nitze, Suchthilfe-Koordinator am Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, hat „Nüchtern betrachtet“ initiiert und ist Sprecher der Kampagne. „Wir wollen die Bevölkerung sensibilisieren, über ihren Alkoholkonsum nachzudenken“, erklärt er. Die öffentliche Resonanz sei bisher gut gewesen. „Wir wollen mit der Kampagne erreichen, dass die Leute darüber nachdenken, dass Feiern und Fröhlichsein auch ohne Alkohol möglich ist.“ Die Kampagne sei eine Reaktion auf auf die steigenden Zahlen beim Alkoholabusus und das sinkende Einstiegsalter bei Kindern und Jugendlichen.

Thematisiert werden soll auch die Frage nach dem Zugang zu Alkohol, sagt Nitze. In Discountern gebe es etwa Bier für 30 Cent pro Flasche, das mache es für Jugendliche einfach. Auch müsse der Jugendschutz konsequenter angewandt werden. So müssten VerkäuferInnen dazu aufgefordert werden, bei Alkoholverkauf die Ausweise zu verlangen.

„Im Prinzip ist Sucht eine Selbstmedikation für Frust“, erläutert Nitzes Kollege in Tempelhof-Schöneberg, der Suchthilfekoordinator Gerd Horstig. In seinem Bezirk findet morgen eine Fachtagung zum Thema „Sucht und Prävention“ statt. Ein inhaltlicher Schwerpunkt dabei ist die Primärprävention, also die Suchtvorbeugung bei Kindern und Jugendlichen. Gerade in diesem Bereich werde die Unsicherheit größer und damit auch die Suchtgefahr, sagt Horstig. Sucht habe nun einmal mit der sozialen Lage zu tun.

Eine Vielzahl von Sponsoren unterstützt den Versuch, die Berlinerinnen und Berliner für einen Monat trockenzulegen. Am 15. Dezember findet im Rathaus Schöneberg ab 16 Uhr die Abschlussveranstaltung der Kampagne statt. JÖRG MEYER