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Archiv-Artikel

Per S-Bahn zum Gratisstudium

In Rheinland-Pfalz gibt es keine Studiengebühren – noch. Deswegen kommen immer mehr Studierende aus Nachbarländern, die das Bezahlstudium eingeführt haben. Mainz wehrt sich mit einem Wegezoll für GaststudentInnen und Numerus clausus

„Die Landeskinder, die geschützt werden sollen, haben das Nachsehen“

AUS WIESBADEN UND MAINZ KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Werktag für Werktag rattert die S-Bahn Nr. 8 bei Gustavsburg in Hessen auf der renovierungsbedürftigen Eisenbahnbrücke nach Mainz in Rheinland-Pfalz. Die frühe und abends überfüllte Bahn tangiert auf ihrer Fahrt drei Stationen im Nachbarland: Mainz-Süd, Mainz-Hauptbahnhof und Mainz-Ost. Zwischen 8 Uhr und 10 Uhr leeren sich die Waggons im Mainzer Hauptbahnhof schlagartig. Heerscharen von Studenten aus ganz Südhessen stürmen die Straßenbahnen und Busse zur nahe gelegenen Johannes-Gutenberg-Universität oder zu den Universitätskliniken im Westen der Stadt. Neu ist das nicht, aber der Studentenstrom wird sich verstärken, weil in Hessen das Studieren Geld kostet, in Rheinland-Pfalz aber nichts.

Johanna (21) aus dem hessichen Rüsselsheim hat sich wegen des Geldes in Mainz eingeschrieben. So kann die Einserabiturientin weiter kostenlos im elterlichen Haus wohnen und auch gratis weiterstudieren. Die kurze Fahrt mit der S-Bahn schont den geleasten Corsa der Jurastudentin. Ihre Freundin Jutta (20) macht es ebenso.

Schon in den letzten drei Jahren haben sich immer mehr Langzeitstudenten nach Rheinland-Pfalz geflüchtet. Damals wurde in Hessen die Erhebung von Langzeitstudiengebühren beschlossen; inzwischen legte Rheinland-Pfalz nach – mit der Einführung einer Beitragspflicht bei Überziehung der Regelstudienzeit (plus ein Jahr) im Zuge eines so genannten Studienkontenmodells. Johanna berichtet, drei von den Gebührenflüchtigen würden fehlende Scheine nachmachen. Alle drei hätten ihr Jurastudium an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main begonnen. „Eigentlich sehr nette Kerle“, urteilen die Studentinnen. Heute sitzen die Bummler allerdings nicht in der S-Bahn. „Die kommen halt nicht immer“, sagt Jutta. Deshalb studierten sie ja auch so lange. „Ich glaube, die haben nebenbei noch Jobs.“

Gut gefüllt sind die Hörsäle in Mainz schon jetzt. Allein 11.000 Hessen zählte die Universitätsverwaltung Ende Sommersemester 2006 an Uni und Uniklinik. Die Kinder aus Hessen stellen damit das stärkste Studentenkontingent – noch vor den rheinland-pfälzischen Landeskindern. In Mainz geht nun die Angst um, dass die auswärtigen Gebührenflüchtlinge sich an allen Universitäten des kleinen Landes breitmachen könnten. Mainz, Trier, Koblenz und Kaiserslautern fürchten den Ansturm von klammen Studis aus den Nachbarländern.

Denn Rheinland-Pfalz ist wegen seiner Garantieerklärung für eine gebührenfreie Hochschulausbildung noch die Insel der glückseligen Studierenden in einem Meer von demnächst gebühreneintreibenden Ländern. In den Nachbarländern Hessen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Saarland wird demnächst abkassiert. Preisspanne für ein Studium dort: zwischen 300 und 500 Euro pro Semester. Anfang Oktober beschloss der Hessische Landtag, die Studierenden ab dem Sommersemester 2007 mit 500 Euro pro Semester zur Kasse zu bitten.

Rheinland-Pfalz will nun beides. Die Wanderstudenten abwehren – und gleichzeitig die Gebührenfreiheit gewährleisten. Deswegen haben sich der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) und sein Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) eine Landeskinderregelung ausgedacht. Darin dürfen nur noch Pfälzer Kinder umsonst studieren. Landeskind ist qua Definition, wer seinen ersten Wohnsitz in Rheinland-Pfalz hat. Alle anderen Studierenden sollen 500 Euro ab dem Jahr 2007 pro Semester zahlen; nach dem 14. Semester erhöht sich die Studiengebühr auf 650 Euro. Voll bezahlen müssten allerdings nur die Studienanfänger von auswärts. Wer aus einem anderen Land kommt und schon länger in Rheinland-Pfalz studiert, soll eine Gnadenfrist bekommen.

Das Problem der Pfälzer: Entsprechende Regelungen haben Verwaltungsgerichte schon in Hamburg und Bremen wegen verfassungsrechtlicher Bedenken für nichtig erklärt. Auch die Opposition im Mainzer Landtag sowie alle Studentenvertretungen im Lande sind gegen die Landeskinderregelung. Dem Präsidenten der Gutenberg-Universität in Mainz ist die Landeskinderklausel wiederum zu lasch. Jörg Michaelis befürchtet, dass Studierwillige nur „Briefkastenwohngemeinschaften“ in Mainz gründen bräuchten, um den Studiengebühren zu entgehen. Daher führt Michaelis an seiner Hochschule für alle noch frei zugänglichen Fächer einen Numerus clausus ein. Nur so ließen sich aus dem mutmaßlichen Bewerberandrang wenigstens die Besten herausfiltern.

Dieses Vorgehen aber hat andere Nachteile. Rheinland-Pfälzer mit einem schlechten Abiturzeugnis müssen sich dann in anderen Bundesländern nach einem Studienplatz umsehen. „Damit haben die Landeskinder, die eigentlich geschützt werden sollen, das Nachsehen“, moniert Josef Rosenbauer, der CDU-Fraktionsvize im Landtag.

Ob das die Landesregierung gewollt hat? Das verneint Bildungsministerin Doris Ahnen (SPD) entschieden. Deshalb sind die Rheinland-Pfälzer in Berlin bei Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) vorstellig geworden, um ein bundesweit gültiges Modell der Hochschulfinanzierung zu propagieren. Nach Schweizer Vorbild soll auch in Deutschland ein so genannter Vorteilsausgleich eingeführt werden: Jedes Bundesland müsste danach für die Studienplätze, die seine Landeskinder anderswo belegen, Geld ans Studienland bezahlen. Doch Bundesländer wie Bayern, Hessen oder Baden-Württemberg, die schon kräftig in den Länderfinanzausgleichstopf einzahlen, haben bereits ihren Widerwillen gegen eine solche Regelung bekundet. Politisch scheint sie nicht durchsetzbar zu sein.

Für diesen Fall soll es bei der Landeskinderregelung mit all ihren Schwächen und verfassungsrechtlichen Bedenklichkeiten bleiben. CDU und FDP haben schon einmal angekündigt, dann vor die Verwaltungsgerichte ziehen zu wollen – mit exorbitant guten Erfolgsaussichten. Das weiß auch die Landesregierung. Sie prüft deshalb zurzeit ein Modell, wonach auch in Rheinland-Pfalz pro forma Studiengebühren für alle eingeführt werden sollten. Doch den im Lande ansässigen Studierenden würden diese Gebühren wieder rückerstattet – etwa in Form der Gewährung von Stipendien. Das mag verfassungskompatibel sein – würde aber nichts an der Attraktivität des Landes auch für auswärtige Studierwillige ändern.

Studentenvertreter befürchten, dass die Debatte um die verschiedenen Modelle nur die Vorboten der Einführung von Studiengebühren für alle auch in Rheinland-Pfalz seien.

Die undogmatische Kritische Linke an der Mainzer Universität erhebt harte Vorwürfe. Beck und Zöllner seien mit der Novelle zum Hochschulgesetz zur angeblichen Aufrechterhaltung der Studiengebührenfreiheit genau auf das Gegenteil aus – sie wollten das Bezahlstudium einführen. In Hamburg sei es genauso gewesen. Nach dem Scheitern einer entsprechenden Regelung habe der Senat die Einführung von Studiengebühren für alle beschlossen. Auch Ministerpräsident und SPD-Bundeschef Beck hätte damit eine Ausrede. Er könnte sagen: Das wurde uns aufgezwungen!

In diesem Fall bleiben dann wenigstens auch die Meldeämter in den Universitätsstädten des Landes vom Studentenansturm verschont. Briefkastenwohngemeinschaften braucht dann niemand mehr zu fürchten. Und in Rheinland-Pfalz wird die Bevölkerung weiter schrumpfen wie bisher. Sollte aber die Landeskinderregelung doch greifen, wird es noch enger werden in der S 8 von Rüsselsheim nach Mainz. „Da wird die Bahn noch ein paar Waggons dranhängen müssen“, meint Studentin Johanna.