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Archiv-Artikel

Laufsteg der Verzweiflung

STARTHEATER Isabelle Huppert spielt Blanche Dubois: Die Tennessee-Williams-Adaption „Un Tramway“ vom Odeon in Paris gastiert bei den Festspielen

Von Szene zu Szene wächst das Erstaunen darüber, dass so viel Zerfahrenheit und innerer Stau diesen schmalen Körper nicht schon völlig zerrissen hat

Eigentlich ist man gekommen, um einem Star zu huldigen: Isabelle Huppert als Blanche Dubois in „Un Tramway“ nach Tennessee Williams’ „Endstation Sehnsucht“. Sie ist großartig in dieser Rolle einer Verletzten, die ihre Vergangenheiten um- und umsortiert und mit Mühe nur sich auf ihre Gegenwart einstellen kann. Sie ist anrührend in ihrem auf die Spitze getriebenen Exhibitionismus, nervtötend in ihrer Egozentrik. Von Szene zu Szene wächst das Erstaunen darüber, dass so viel Zerfahrenheit und innerer Stau diesen schmalen Körper nicht schon völlig zerrissen haben. Also Gründe, ihr zu huldigen, die Menge.

Dennoch ist man nicht glücklich mit dieser Inszenierung von Krzysztof Warlikowski, die aus dem Odeon-Theater in Paris kommt. Und das gerade weil Warlikowski sich so auf Isabelle Huppert konzentriert: Als ob es gälte, die Rolle für sie besonders schwierig zu gestalten; als ob sie, deren Leinwandpräsenz jeder kennt, nun auch beweisen müsste, auf der Bühne ein größeres Monster sein zu können als alle anderen. Der Stress der Blanche Dubois, die immer gegen ihre Unglaubwürdigkeit anrennt und dem Image ihrer Garderoben (von Yves Saint Laurent und Christian Dior) nur schwer hinterherkommt, vermischt sich mit dem Stress eines Stars, der dauernd im Fokus steht, verfolgt von einer Kamera auch dann, wenn sie auf der von gläsernen Wandschirmen gegliederten Bühne einmal nicht vorne mitspielt. Die anderen Rollen bleiben dagegen zu kleingeschrieben, weder ihre Schwester Stella (Florence Thomassin) noch deren Mann Stanley Kowalski (Andrzej Chyra), die sich von Blanches Chimären angegriffen fühlen, erhalten wirkliche Chancen, so plastisch zu werden wie sie. Das nimmt dem Melodram leider viel von seiner Spannung.

Beim Schlussapplaus kommt auch Krzysztof Warlikowski auf die Bühne, das ist oft so bei den prominenten Gastspielen der Berliner Festspiele; er blickt etwas finster auf das Publikum, als spüre er den Mangel an Enthusiasmus. Er arbeitet zurzeit mit der Berliner Staatsoper, am 10. Dezember hat Strawinskys „The Rakes Progress“ in seiner Regie im Schillertheater Premiere. Als Theater- und Opernregisseur, der in Polen und anderen Ländern Europas arbeitet, genießt er Anerkennung auch gerade dafür, es sich nie einfach zu machen, keine Muster zu übernehmen, Konsensbilder zu hinterfragen.

Für den Versuch, Tennessee Williams’ Südstaatenstück zu öffnen und weitere poetische Horizonte einzuziehen, steht auch die Textfassung „Un Tramway“, die der Dramatiker Wajdi Mouawad geschrieben hat, mit Zitaten aus Oscar Wildes „Salome“, Platons Kugelmenschen und Monteverdis Madrigal von Clorinda und Tankred. Renate Jett, eine Sängerin, die Warlikowski durch viele Inszenierungen begleitet hat, singt diese Geschichte vom Liebeswahnsinn mit strenger Attitüde, unromantisch und nüchtern, kurz bevor Blanche von psychiatrischen Pflegern abgeholt wird. Ihr Lied ist – vor allem lang. Die Exkurse zünden nicht, man sieht die Figuren des Dramas danach nicht in einem anderen Licht, und so werden sie zu bildungsbürgerlichem Bombast und anspruchsvollem Getöse.

Was wiederum heißt, dass die ganze Last, das Publikum bei der Stange zu halten, auf Huppert zurückfällt; man wartet auf ihren nächsten Auftritt, die anderen sollen sich bitte beeilen. So zerfällt das Schauspiel in etwas, was es ganz sicher nicht sein wollte: einen Laufsteg für einen Star. KATRIN BETTINA MÜLLER

■ Nächste Aufführungen: 23. bis 25. November, 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele