: Kein Kloschlüssel für Nazis
ERSTER MAI In Dortmund und Rostock trafen Neonazis auf Antifas, in Hamburg wurde eine leerstehende Schule besetzt, in Berlin herrschte Party-Stimmung. Impressionen vor Ort
BERLIN taz | DORTMUND: Rund 450 Neonazis aus der autonomen Kameradschaftsszene versammelten sich am Nachmittag im Stadtteil Westerfilde, um auf ihre Art den 1. Mai zu begehen. Angeführt von „Die Rechte“-Führer Christian Worch und Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt, dem einschlägig bekannten Dortmunder Spitzenkandidaten der neonazistischen Splitterpartei, erreichten sie über Umwege den weiträumig abgesperrten Kundgebungsort. Die Anreise über den S-Bahnhof Westerfilde verhinderten mehrere hundert GegendemonstrantInnen, die vom Vormittag an erfolgreich den Bahnsteig blockierten. Die Polizei verzichtete auf die Räumung.
Mit einem Großaufgebot verhinderte die Dortmunder Polizei ein direktes Aufeinandertreffen von Neonazis und den rund 1.000 Gegendemonstranten. Aber anders als zu früheren Zeiten konnten Antifaschisten ihren Unmut über das rechte Treiben in Rufweite der Nazis artikulieren – was mehrere Hundert auch lautstark taten.
Landtagsabgeordneten der Grünen und der Piraten beobachteten das Demonstrationsgeschehen vor Ort. „Die Stadt zeigt, dass sie eine demokratische Gesellschaft hat, die auch bereit ist, Gesicht zu zeigen“, freut sich Dabiela Schneckenberger von den Grünen, auch wenn es immer noch viel zu viele Nazis wären. An ihren Aufzügen in der Ruhrmetropole im Mai und im September, bei ihrem „Nationalen Antikriegstag“, nahmen in den vergangenen Jahren bis zu 1.000 militante Nazis teil.
BERLIN: Von allen Seiten drängen die Leute in das Festgebiet des Myfests rund um die Oranienstraße im Bezirk Kreuzberg. Rauchschwaden von gebratenem Köfte, Nackensteak und Bratwürsten ziehen zwischen lauten Bässen über junge Leute mit Getränken in der Hand oder Kindern in Tragetüchern. Mittendrin die Anti-Konflikt-Teams der Polizei mit neonfarbenen Westen und die private Security vom Maifest mit blauen Westen. Es verspricht, mindestens so voll zu werden, wie in den Vorjahren – zwischen 30.000 und 40.000 waren es da. Die älteren Semester haben sich mehr auf den Mariannenplatz zurückgezogen, dort gibt es türkische Folklore, Feuershows, Tanzperformances und Slapstick.
Auch Kommerz gibt’s genug: Zwei Frauen, angeheuert von einem schwedischen Möbelkonzern, verteilen Flyer an Passanten. Ein pfiffiger junger Mann hat mitten im Gedränge eine Leiter aufgebaut. Die Leute dürfen für 50 Cent hinaufklettern, um ein Überblicksfoto zu machen. Ein paar Schritte weiter hat ein anderer ihm das schon nachgemacht – er hat die kleinere Leiter und will einen Euro.
ROSTOCK: In einem Asia-Imbiss bekommt man den Toilettenschlüssel nur, wenn man wirklich beteuert, nicht zu den Nazis zu gehören. Ein Lächeln ist hier ein Muss. Der NPD-Vorsitzende aus Berlin schimpft derweil über die Einwanderung in die Sozialsysteme und hetzt gegen Sinti und Roma.
Der NPD-Marsch steht. Auf dem Petridamm und Mühlendamm sollen größere Blockaden von Gegendemonstranten sein. Vor Ort gibt es unterschiedliche Angaben, wie viel Rechtsextreme wirklich auf der Straße sind. Die Polizei geht weiterhin von 300 aus, eine frühere Einschätzung von über 1.000 scheint nicht zu stimmen. Die NPD sprach anfänglich selbst von knapp 500. Unter den Teilnehmern befindet sich im vertrauten Gespräch mit NPD-Kadern Thomas Wulff, bis vor Kurzem NPD-Landesvorsitzender in Hamburg. Die Bundesführung schloss ihn aber aus, weil er sich selbst offen als „Nationalsozialist“ bezeichnet.
HAMBURG: Fröhlich, friedlich, aber auch kämpferisch fordern die DemonstrantInnen auf der Reeperbahn ein Bleiberecht für die Lampedusa-Flüchtlinge: „Ihr seid hier zu Hause und wir sorgen gemeinsam dafür, dass ihr bleiben könnt“, ruft eine Rednerin. Die VeranstalterInnen sprechen von zwischen 2.000 und 4.000 Menschen, die Polizei von knapp über 1.000, der Zug ist über einen Kilometer lang. Die anwesenden Flüchtlinge werden mit Applaus begrüßt, und zwar Land für Land: Mali, Togo, Ghana, Burkina Faso und Libyen. Bürgermeister Olaf Scholz wird für die Situation der Flüchtlinge verantwortlich gemacht. Für ihn gibt’s nur laute Buh-Rufe.
Am Nachmittag besetzen AktivistInnen eine leerstehende Schule im Karoviertel, um dort ein „Refugee Welcome Center“ zu eröffnet. Der Hintergrund ist, dass die Stadt den Lampedusa-Flüchtlingen keine Unterkünfte bereitstellt. Die Polizei marschiert auf. Hunderte Demonstranten stehen vor der Schule.
PASCAL BEUCKER, ANDREAS SPEIT U. A.