AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON DETLEF KUHLBRODTSCHÖNE WOHNUNGEN SIND ANSTRENGEND, GUT AUSSEHENDE MENSCHEN AUCH
: Ein Polizist zu Weihnachten, der aufpasst, dass ich zu Hause nicht rauche

Längst gehöre ich ja zu den traurigen Gestalten, deren Wochenenden nur noch aus den Eckpfeilern Bundesligafußball, „Tatort“ und Alleinsein bestehen. Mein Selbstbild bröckelt so vor sich hin, authentische Lebensgefühlsmomente kommen nur noch selten vorbei. Die meiste Zeit bin ich allein, mache Quatsch und kann nichts mit mir anfangen (wie Helge Schneider in „00-Schneider“). Wenn ich ein Atomkraftwerk wäre, würde ich für Abschaltung plädieren.

Deshalb war es gut, mal zu Freunden zu gehen. Auf der Einladung hatte kein Anlass gestanden. Zwar erfuhr ich später, dass es sich um einen Geburtstag handelte. Zuvor hatte ich aber schon ein paar Minuten geklingelt. Es war halb acht. Niemand öffnete. Ojemine! Erst mal Zigaretten holen. Das ist so ein Trick.

Ich klingelte bei einem Nachnamen, den ich kannte, fragte, „du bist doch sowieso“, und es war tatsächlich die Person. Dann ging auch die Tür auf. Gleich ärgerte ich mich wieder, weil ich sofort anfing, mich darüber zu beklagen, dass ich zu doof bin, eine bezahlbare Wohnung zu finden, obgleich ich doch am Vormittag erfolgreich einen Antrag auf Erstellung eines WBS in den Briefkasten geworfen hatte.

Der Druck, ein tolles Leben zu führen

Nach einer Weile wurde der Abend schön unter meinen Generationsgenossen. Die meisten waren Mitte vierzig bis Anfang fünfzig und sahen gut aus. Die Wohnung war großartig. Der Blick vom Balkon die Straße rauf und runter war der Hit, alles war stilbewusst und gemütlich eingerichtet. Gleichzeitig hatte die Wohnung auch etwas Fragiles. Denn wenn man es geschafft hat, sich so schön einzurichten, ist der Druck bestimmt sehr hoch, nun auch ein tolles, interessantes Leben zu führen.

Das ist ja ähnlich bei Leuten, die gut aussehen und nun unter dem Zwang stehen, ein ihrem Aussehen entsprechendes tolles Liebesleben führen zu müssen. Sex unter zu gut aussehenden Menschen muss furchtbar sein! Wenn ich in einer so schönen Wohnung wohnte, würde sie in zehn Minuten aussehen wie ein Müllhaufen. Wir sprachen über G. Damals war sie ständig umgezogen und mit jedem Umzug hatte sich ihr Besitz vermindert. Nun lebe sie in Wien und es sei irgendwie seltsam in ihrer Wohnung, weil es keine Gegenstände mit Erinnerungen gibt. Wir saßen zu zehnt an einem Tisch. Alle redeten interessant und auch anschaulich miteinander. Es war prima.

Gut gelaunt ging ich nach Hause, um meine Räuberhöhle am nächsten Tag schon wieder zu verlassen. Man hatte mir gesagt, dass in dem irischen Pub am Kreuzberg oft die Spiele der Fußballmannschaft Schalke 04 gezeigt werden. Dies war diesmal jedoch nicht der Fall. Am einen Ende des Pubs gab’s „Konferenz“, am anderen „Premiere League“. Es ist sehr schön dort zu gucken, weil so viele Engländer dort sind. Die meisten kommen aus Manchester.

Außerdem ist mein Freund Cord oft dort. Wir tauschen uns dann immer über politische Fragen aus und lachen dabei. Ich frage zum Beispiel, ob er wählen gehen wird, er antwortet, „nein, ich bin Antidemokrat!“, und ich finde es dann völlig unangebracht, dass er sich ärgert, wenn seine Mannschaft verliert. Er hasst die Grünen, weil sie alles totregulieren wollen, ich wünsch mir zu Weihnachten einen Polizisten, der aufpasst, dass ich nicht zu Hause rauche. Er sagt: „Ich geh nicht wählen, das macht ja das Volk schon“. Ich sage: „Ich gehe gerne wählen, weil es Spaß macht.“ So verging der Nachmittag und es war schön. Gut gelaunt wurde oft gejubelt, weil viele Tore fielen.

Den Rest des Abends verbrachte ich bei netten Hippieaktivisten. So nannte ich sie jedenfalls für mich so. Nach dem Essen saßen wir an einem langen Tisch vor drei Computern und guckten zeitgenössisches Kabarett im Internet. Wie schon im vorletzten „Tatort“ klebte im Hintergrund immer irgendwo ein Atomkraft-Nein-danke-Protestzeichen. Und als die Nachricht von der Lockerung des Kondomverbots wie ein Lauffeuer durchs Internet wehte, stießen wir begeistert auf „unseren“ Papst an.