: Anarchie im Säuferluftschiff
Schöner reisen nach Afrika. Auf dem Weg nach Kamerun. Eine Wahrheit-Reportage
DOUALA taz ■ Bevor man nach acht Stunden Flug und zusätzlichen vier Stunden Herumhängen und Schlangestehen den International Airport Douala im Westen Kameruns erreicht hat, hat man was erlebt.
Am Fraport Frankfurt/Main erklärt einem beim „Boarding“ eine in Douala gebürtige Mitarbeiterin der Air France, es sei prima, dass man seinen Internationalen Impfpass dabei habe und den Nachweis über die höllische Gelbfieberimpfung, ohne die man am Kameruner Zoll zurückgewiesen würde; aber sie lasse diesen Schwachsinn sein, wenn sie in ihre Heimat fliege. Ohne Impfbuch müsse man in Douala „bloß ein bisschen verhandeln, also Geld zahlen“, sagt sie, „zehn Euro kostet das“, ein Neuntel der Impfgebühren.
Schon ist man nicht nur wieder mal klüger geworden, sondern hat vorher auch noch eine Bombendrohung überlebt und fliegt infolgedessen nach Paris. Auf dem durch und durch bescheuerten Flughafen Charles de Gaulle läuft man sich anschließend auf dem Weg von Terminal 2 D zu Terminal 2 F einen Hungerast. Rauchen, stellt man fest, ist im gesamten Flughafen verboten. Der Versuch, auf dem Lokus zu qualmen, wird durch den freundlichen Hinweis vereitelt, sämtliche Scheißhäuser würden „zu Ihrer Sicherheit videoüberwacht“. Viel Spaß bei der Notdurftverrichtung!
Im Airbus nach Afrika gibt es dann irgendwann, ungefähr über Lyon, auch Essen. Das können die doofen Franzosen. Von Bier allerdings haben sie selbstverständlich keinerlei Dunst. Geboten wird Kronenbourg in 0,25-Liter-Dosen. Nach zwei Zwergkannen ist außerdem Feierabend. Mit napoleonischer Souveränität ignorieren die Crewmitglieder jedes Handzeichen, jede Bitte um Nachschub. Zwanzig Minuten später sind überhaupt keine Stewardessen und „Flugbegleiter“ mehr zu sehen. Unter den etwa 400 Passagieren dürften 350 Kameruner sein. Die scheinen zu wissen, wie das bei „Air Chance“ (Volksmund) läuft. Eine Vorhut aus drei vollbeleibten Geschäftsleuten erhebt sich, tankt sich bis zu den Cupboards durch, reißt die Schränke auf und greift beherzt zu.
Keine halbe Stunde später sind ihnen 50, 60 Insassen des Durstknastes gefolgt. 11.000 Meter weiter unten kocht die Sahara, auf den hiesigen Gängen herrscht die schönste Anarchie. Weinflaschen kreisen, Plastikbecher mit Champagner werden herumgereicht, Kurze weggedonnert und Bierdosen vernichtet. Man wähnt sich auf der Titanic-Buchmessenparty, in einem Säuferluftschiff, in dem die Kundschaft das Kommando übernommen hat.
Als die Maschine auf Nigeria zusteuert, kriechen die dämlichen französischen Nichtflugbegleiter aus dem Bauch des Airbus hervor und glotzen wie die Lämmer in eine satt bedröhnte Riesenrunde aufgeklärter Konsumenten, die schließlich optimal gerüstet die lieblichste Klimazone der Erde entern.
Douala hat kein Wetter, in Douala ist ganzjährig eine Art meteorologische Krankheit ausgebrochen. Man taucht in eine pampige, giftige Luftsuppe ein. Man könnte sich gleich bekleidet unter die Dusche stellen, muss aber durch die Impfpasskontrolle, die beeindruckend verläuft: „Sie haben Gesundheit?“ – „Ja, den Impfpass habe ich.“ – „Weitergehen!“ Man setzt sich in Bewegung und denkt, sofern man das inmitten dieser mikroatmosphärischen Qualmküche Denken nennen kann, ununterbrochen an den berühmten Popsong „Paint Me Black“.
Die Einheimischen schwitzen genauso lustvoll wie Menschen aus der nördlichen Hemisphäre. Keine Sau kann’s hier aushalten, deshalb lautet der wichtigste Leitsatz in Kamerun: „No water, only beer!“ Das leuchtet einem angesichts von 1.435 Prozent Luftfeuchtigkeit derart ein, dass man umgehend eine Flasche Kameruner Bräu in sich hineinhämmert. Zum Glück haben Bierflaschen hier ein Volumen von 0,65 l. Außerdem enthält Bier Vitamin B, das Moskitos hassen wie Franzosen die Idee der menschenwürdigen Behandlung von Fluggästen.
Also trinkt man tagelang unbezifferbare Quanten Bier, um sich im Schädel so dunstig und breiig zu fühlen, wie der verblödete Himmel über Douala ausschaut, und – um kein einziges Mal gestochen zu werden! Erneut erheblich schlauer geworden, tritt man die Rückreise an, eine halbe Stunde, nachdem man von einer Kollegin – und sie über Handy – erfahren hat, dass bei Abuja im Nachbarland Nigeria gerade eine Boeing 737 abgestürzt ist: 96 Tote.
In Nigeria hat so was ja Tradition: „Seit 1991 starben dort fast 1.200 Menschen bei mehr als 40 Flugzeugunglücken“, schreibt Die Zeit. In Kamerun pflegt man hingegen neben der engagierten Einkesselung durch grüngewandete Porteure (Gepäckträger) die guten Sitten des unnachgiebigen, freudigen Ticketabstempelns und der Schmiergeldentgegennahme an Security-Check- Points. Am letzten der circa 19 Kontrollpunkte im International Airport Douala lässt man sich dann vom Zöllner, der darauf besteht, die bereits mindestens dreimal geröntgte Jacke noch mal persönlich zu inspizieren, die restliche Kameruner Kohle klauen.
Da machen acht Nachtflugstunden in der Obhut französischer Schwachmaten fast auch nichts mehr aus. JÜRGEN ROTH