piwik no script img

Archiv-Artikel

An der Schmerzgrenze

AUS ALBUQUERQUEADRIENNE WOLTERSDORF

Peter Parcelle braucht jetzt eine extra Portion Chilisoße. „Wenn ich fernsehe, wird mir schlecht, da hilft nur was Scharfes“, schimpft der Rentner mit der sonnengegerbten Haut und den schlohweißen Haaren. Parcelle hat sie satt, so satt, diese Bande von Republikanern oben in Washington. „Sie haben das Land in die falsche Richtung geführt, sie schröpfen die Mittelklasse. Ich werde – aber hallo! – für Patricia Madrid stimmen.“ Wütend schaufelt er sein Bohnen-Reis-Salsa-Frühstück in sich hinein.

Es ist Wahlkampfzeit hier in New Mexico. Und Erntezeit. Körbeweise werden die feuerroten und grünen Chilis geerntet, die die Wüstensonne hat scharf werden lassen. Als Paste oder Salsa landen sie dann mit Reis und Fajitas oder Enchiladas auf den Tellern der New Mexicans, Chicanos, Hispanics, Nuevo Mexicanos. Wer fühlt, dass in seinen Adern das Blut der spanischen Eroberer fließt, nennt diese felsige Landschaft unter stahlblauem Himmel seine Heimat. Und die Weißen „Anglos“. Wer hier als Anglo etwas werden will, spricht besser ein paar Worte Spanisch, denn die Hispanics stellen im südwestlich gelegenen Wüstenstaat die Hälfte der Einwohner.

Hier in Barela’s Coffeehouse bestellen die Leute morgens schon ihr Frühstück mit ordentlich Salsa. Das Restaurant liegt mitten im ehemals hispanischen Arbeiterviertel von Albuquerque, der größten Stadt New Mexicos. In einer Ecke plärrt ein Fernseher. Der Sender Fox überträgt gerade, wie US-Präsident George W. Bush 2.984 Kilometer weiter weg, in Washington, strahlend eine Urkunde unterzeichnet. Es ist das Dokument, mit dem der Präsident den Bau eines 702 Meilen langen Zaunes entlang der US-mexikanischen Grenze autorisiert. Eines Zauns mit Stacheldraht, Bewegungsmeldern, Kameras, Gräben und dem Ziel, die „Illegalen“ aus dem Land rauszuhalten.

Aber das ist es gar nicht, was Peter Parcelle so aufregt, wenn er fernsieht. Es ist die Irakpolitik der Republikaner, hier in seinem Wahlkreis Albuquerque personifiziert durch die stramm konservative Kongressabgeordnete Heather Wilson. Seit vier Legislaturperioden macht sie den Job in Washington. Deshalb ist es ihm schnuppe, ob die Demokraten überhaupt eine Lösung für den Irakkrieg haben. „Ist doch scheißegal, die Republikaner haben erst recht keine Ideen.“ Er wird Patsy Madrid wählen.

Sein Freund und Tischgenosse Richard Delgazillo stimmt ihm in der Sache zu. Trotzdem will er für Heather Wilson stimmen. „Ja, Irak, das ist nicht gut“, sagt er und stochert auf seinem Teller herum. Er ist Angestellter in einem Baufachhandel. Seine Sorge ist, dass seit Jahren die Löhne in den USA sinken – und dass zu viele Illegale über die Grenze in die USA kommen. Den Grenzzaun finden alle, auch der schweigende Dritte am Tisch, Emilio Incii, „nonsense“. Mehr haben sie dazu nicht zu sagen. „Wilson macht das besser“, sagt Delgazillo noch zu Parcelle. Der winkt ab. Beide stammen aus dem Arbeiterviertel der Hispanics, sie können es aushalten, nicht einer Meinung zu sein.

„Ich hoffe, Bush hat einen Plan“

Im Gewerbeviertel von Albuquerque geht eine mit blau-weiß-roten Rüschen geschmückte Tür auf. An der Fassade des Flachbaus steht „Welcome Home – Veterans of Foreign Wars, Post 401“. Hier treffen sich alle, die mal wieder drüber reden müssen. Über das Dienen, darüber, was Helden ausmacht, und welche Schlacht eigentlich die beste war. Dazu vielleicht ein Bierchen, oder zwei. Dem VFW gehören landesweit 2,4 Millionen Kriegsveteranen an.

Wo die Schmerzgrenze der Diskussion verläuft, macht der frühere Vietnamsoldat William Abe Duffelmeyer gleich klar. Ihn kotzten die Schwätzer von den Demokraten an, sagt er, denn „ein Soldat muss Befehle ausführen, er soll nicht fragen“. Er meint, dass dem Präsidenten durch die Linken und die Medien die Hände gebunden seien, und er deshalb den „Job“ im Irak nicht so richtig zu Ende bringen könne. Die Umstehenden nicken. Ein anderer, Redakteur der Zeitschrift Veteran News, faucht: „Wir wollen Freiheit. Sie müssen sich mal eins merken: Wir gehen nicht für eine Regierung in den Krieg, sondern für die US-Flagge. Und die steht für Freiheit!“

Christin McKinley hört erst mal zu, bevor sie auch etwas sagt. Sie ist die einzige junge Frau unter den alten Kämpfern. Veteranin des „Desert Storm“, des Zweiten Golfkrieges zu Beginn der 90er-Jahre, teilt sie zackig mit. „Ich hoffe ja, dass Bush einen Plan hat“, sagt sie. Sicher scheint sie sich da nicht zu sein. Es stört sie, dass sich der Präsident von der Kritik am Irakkrieg so verunsichern lässt. „Er sollte jetzt wirklich weitermachen wie bislang.“ Sie ist überzeugt: Dass es im Oktober im Irak so viele Tote und so viel Gewalt gab wie noch nie zuvor, ist ein Störmanöver der Aufständischen. „Die wissen doch, dass bei uns jetzt Wahlen sind, das nutzen die aus“, sagt die 38-Jährige. Was sie wählt? „Meine Familie hat immer demokratisch gewählt“, aber diesmal ist sie unsicher. „Beide Parteien haben keine Lösung für den Irak.“ Aber dass die republikanische Abgeordnete Wilson selbst Veteranin ist, das gefällt ihr schon mal sehr gut. Madrid habe nicht gedient.

In New Mexico leben landesweit die meisten Militärangehörigen. Den Wahlkampf der beiden Kandidatinnen beherrscht deshalb nur ein Thema: der Krieg gegen den Terror. Die Dürre dieses Sommers, der niedrige Mindestlohn, Bildung, Krankenversicherung – darüber wird kaum ein Wort verloren.

Im Madrid-Wahlkampfhauptquartier herrscht hektische Betriebsamkeit. Sechs Freiwillige sitzen an den Telefonen und rufen registrierte Demokraten-Wähler an. Der Erfolgsdruck im Wahlkreis ist groß, denn Heather Wilson hat überraschend einen öffentlichen Auftritt zugesagt, außerdem wird es am nächsten Tag eine „Viva Heather“-Party geben, mit Essen.

Einer der Telefonisten ist Paul McConelly. Der 58-jährige Ingenieur nimmt sich stundenweise frei, um beim Agitieren für Patsy Madrid zu helfen. Seit April geht das schon so, seine Frau unterstützt seinen Einsatz für die Demokraten. McConelly trägt einen Button am Kragen, auf dem steht „Bush lügt“. „Ich muss nach fünf oder sechs Telefonaten immer raus vor die Tür und erst mal Luft holen“, sagt er. Als Liberaler kann er es nicht fassen, wie desinteressiert und uninformiert die Leute sind, die er anruft. „Wenn ich sie frage, ob sie mit der politischen Situation und der Regierung zufrieden sind, sagen sie ‚eigentlich nein‘. Dann sagen sie, sie müssten sich noch ein paar Wahlwerbespots anschauen, um ihre Entscheidung treffen zu können.“ Wahlspots! Paul McConelly kann es gar nicht fassen. Was ist bloß los? Sehen denn die Menschen nicht, auf welche Katastrophe das Land zusteuert, wenn es keinen Sieg der Demokraten gibt?

Die Madrid-Familien-Show rollt

Zwei Tage später ist Paul McConelly wieder besserer Stimmung. Patsy Madrid, seine Kandidatin, tritt in einem Nachbarschaftszentrum ganz in der Nähe auf. Und es hat sich auch Prominenz angekündigt: Nancy Pelosi, die Grande Dame der Demokraten, langjährige Minderheitenführerin im Repräsentantenhaus, ist aus ihrem Wahlkreis San Francisco angereist. Mitgebracht hat sie auch Antonio Villaraigosa. Der charismatische Demokrat ist nicht nur der Bürgermeister von Los Angeles, sondern auch der einzige Latino, der eine US-amerikanischeGroßstadt regiert.

Im Nachbarschaftszentrum schützt Maschendraht unter der Decke die Zuschauer vor der herabbröckelnden Farbe. Die Bühne ist vollgepackt mit Cheerleadern, die „Madrid“-Schildchen hochhalten, Nancy Pelosi, Antonio Villaraigosa, deren Sicherheitsleuten sowie einem hispanischen Familienclan, der sich als Madrids gesamte Verwandtschaft entpuppt. „Wie spät ist es?“, brüllt ein Bruder Patsy Madrids immer wieder ins Mikrophon – „Zeit für den Wechsel“ schreien die 300 Menschen, überwiegend Wahlhelfer, zurück. Dann geht die Madrid-Familienshow los.

Zuerst spricht Patsy Madrids Sohn – auf Spanisch und Englisch – darüber, dass Patsy die beste Mutter der Welt sei. Dann erzählt Patsy – wieder auf Spanisch und Englisch –, dass ihre Mutter, die neben ihr im Rollstuhl sitzt, die beste der Welt sei. Dann übernimmt Nancy Pelosi das Mikrofon und hebt an, die Leute über die Absichten der Demokraten ins Bild zu setzen. Die Antiterrorgesetze müssten abgemildert werden, die Truppen „verantwortungsvoll“ aus dem Irak abgezogen werden, den Republikanern müsse das Handwerk gelegt werden – und sie, die Zuhörer, müssten vor allem eines: wählen gehen.

Diese Botschaft hat einen Tag später auch Heather Wilson. Das Nachbarschaftsheim, in das sie ihre Unterstützer eingeladen hat, haben ihre Mitarbeiter etwas hübscher gemacht. Plastikweinlaub liegt auf den runden Tischen, vorn gibt es zuckersüßen alkoholfreien Punsch aus Plastikcontainern. Bevor Wilson mit sämtlichen republikanischen KandidatInnen des Wahlkreises einmarschiert, heizen die „Al Hurricanes“, ein Latinoduo, dem Publikum ein. „Wer mit den Latinos reden will, muss Musik anbieten, das machen die Republikaner einfach besser“, bemerkt ein Lokalreporter.

Die Kongressabgeordnete Wilson schwoft und scherzt mit einem Mann mit weißem Borsalinohut. Dann erklimmt die sportliche Dame im Strick-Twinset die Bühne und beginnt ihre Wahlkampfrede. „Die Welt da draußen ist sehr gefährlich“, diesen Satz wiederholt sie in allen erdenklichen Variationen. Deshalb: Heather Wilson wählen! Jubel brandet auf, dann gibt’s wieder Schwof. Und was ist mit dem Irakkrieg? Auf diese Frage eines Journalisten hin dreht sich Wilson weg und umarmt ganz fest eine ihrer Wählerinnen.