: Der Zaun wird nicht zerstört
Die EU-Führung hat ein Weihnachtspaket für den Umgang mit Zypern geschnürt, doch die Türken wollen es nicht öffnen
VON KLAUS HILLENBRAND
Die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem EU-Aspiranten Türkei haben gestern einen neuen Tiefpunkt erreicht. Nach tagelangen Vorgesprächen und intensivster Reisediplomatie der finnischen EU-Ratspräsidentschaft ist ein geplanter Gipfel zur Lösung des Zypern-Konflikts in letzter Minute gescheitert. Der Grund: Der türkische Außenminister Abdullah Gül mag sich nicht mit seinem zyperngriechischen Kollegen Georgios Lillikas an einen Tisch setzen. Denn die Republik Zypern wird von Ankara nicht anerkannt. Damit sind die Versuche der Union, die Türkei zu einer Normalisierung des Verhältnisses zu ihrem Mitglied Zypern zu bewegen, dort angekommen, wo sie schon vor einem Jahr einmal waren: bei null.
In Brüssel und Nikosia ist man sich einig, dass eine zumindest indirekte Anerkennung Zyperns durch die Türkei eine Vorbedingung für die weiteren EU-Verhandlungen ist. Doch trotz Bitten, Betteln und Drohungen bleibt die Regierung Erdogan bisher bei ihrem harten Kurs. Eine Verbesserung der Beziehungen zu Zypern sei überhaupt nur möglich, wenn die EU, wie versprochen, direkte wirtschaftliche Beziehungen zu den türkischen Zyprioten im Nordteil der Insel etabliert, lautet das Mantra der türkischen Politik.
Worin liegen die Ursachen für diesen Antagonismus? Und gibt es noch Chancen auf eine Lösung – oder kommt es am 14. und 15. Dezember beim EU-Gipfel in Brüssel über die Türkei zum großen Krach?
Am Strand von Famagusta im Norden Zyperns lässt sich einer der Gründe besichtigen, wenn auch nur aus der Ferne. Ein rostiger Stacheldrahtzaun zieht sich wenige Meter vom Mittelmeer entfernt entlang. „Verbotene militärische Zone“ lautet die Aufschrift auf roten Warnschildern. Dahinter steht Hotel an Hotel, weisen verblichene Reklameschilder auf ein vergangenes Urlaubsparadies hin. Der Beton der Hochhäuser ist brüchig geworden, die Scheiben sind blind oder eingeschlagen. Varoscha, so heißt die einst griechische Stadt, steht seit 32 Jahren leer. Zutritt hat seit dem Krieg von 1974 nur türkisches Militär. Selbst die Jeeps der UN-Friedenstruppe UNFICYP dürfen ihre vorgegebenen Wege nicht verlassen.
Die Stadt ist zum Faustpfand geworden im Tauziehen um eine Lösung der europäisch-türkischen Blockade. Die Türkei, so sieht es ein Zollabkommen vor, muss zypriotischen Schiffen und Flugzeugen Häfen und Flughäfen öffnen – ein erster Schritt zur Anerkennung des Staates. Doch Ankara fühlt sich den türkischen Zyprioten verpflichtet und unterhält nur Beziehungen zu Nordzypern. Handelsbeziehungen zwischen dem Norden und der EU wiederum haben bisher die Zyperngriechen erfolgreich verhindert. Ihre Regierung betrachtet die EU-Türkei-Verhandlungen als Möglichkeit, den großen Nachbarn im Norden mit immer neuen Nadelstichen zu verärgern. Was tun?
Die finnische EU-Ratspräsidentschaft wollte am Sonntag ein kompliziertes Weihnachtspaket schnüren, bei dem ein jeder ein schönes Stück Kuchen abbekommen hätte. Um Ankara entgegenzukommen, hätte die Türkei nur einen Teil ihrer Häfen öffnen müssen. Zudem sollte der Hafen von Famagusta unter EU-Kontrolle gestellt und für Warenexporte geöffnet werden – ein Punkt für die Zyperntürken. Schließlich hätte man Varoscha von türkischen Truppen geräumt und unter UN-Kontrolle gestellt. Später sollten die Bewohner zurückkehren dürfen – ein Punkt für die Zyperngriechen. Trotz des gescheiterten Gipfels von Helsinki bleibt dieser finnische Kompromiss auf der Tagesordnung. Fest steht bisher nur: Der Brüsseler Fortschrittsbericht über die Türkei, der nächsten Mittwoch vorgelegt wird, wird für Ankara katastrophal ausfallen. Doch noch hat man bis zum EU-Gipfel Mitte Dezember Zeit, um beim Zankapfel Zypern zu einer Lösung zu finden. Nach den Gepflogenheiten, die man von dieser Art Gespräche kennt, wird es, wenn überhaupt, ein Kompromiss in allerletzter Minute werden.
Es steht viel auf dem Spiel. Ein Einfrieren der Beitrittsverhandlungen wäre nicht nur für die Türkei ein herber Rückschlag. Die EU müsste fürchten, dass sich Ankara künftig stärker gen Osten und Süden orientiert. In den USA, die die Integration der Türkei in die Union als Garant für deren Westorientierung betrachten, kämen berechtigte Sorgen über ihr künftiges Verhältnis zum Nato-Bündnispartner auf. Für eine Wiedervereinigung Zyperns aber wäre dieses Szenario ein Desaster. Ohne EU-Perspektive würde das Interesse der Türkei für eine Lösung gegen null sinken.