: Schnulze mit Bonsai-Angie
Mit der Schlagerklamotte „Große Koalition“ befriedigt das Düsseldorfer Schauspiel den aktuellen Publikumshunger nach uneingeschränktem Amüsement. Für kritisches Bewusstsein ist da kein Platz
VON REGINE MÜLLER
Dass Politik mit dem Karneval vieles gemein hat, ist keine Neuigkeit, sondern ein eher abgestandener Kabarettkalauer. Doch dem Rheinländer wird der Frohsinn scheinbar nie zu viel. Und so sollte der Untertitel der jüngsten Produktion des Düsseldorfer Schauspielhauses „Das Kanzleramt wie es singt und lacht“ wohl ganz bewusst diesen Hebel nutzen.
Der Haupttitel „Große Koalition“ verspricht zwar aktuelles politisches Theater, erweist sich jedoch als Etikettenschwindel. Gespielt wird in einem zwar fiktiv genannten Kanzleramt, tatsächlich aber ist originalgetreu ein großzügiger Innenraum der „Elefantenwaschanlage“ nachgebildet, wie die Berliner die im Nachwende-Größenwahn dahin gewuchtete Geschmacklosigkeit nennen; mit Konferenztisch und Blick aufs nächtliche Berlin.
Zwei Flügel stehen zu beiden Seiten, an denen die „Kanzleramtspianisten, Herr und Frau Gülentürk“ (witzig?) sitzen und den eigentlichen Motor des Geschehens bilden. Denn die schlichte Story erzählt der Macher und Regisseur des Abends Erik Gedeon anhand von sattsam bekannten Juwelen des Schlagers, die in rascher Folge aneinander geklebt sind und in schmissigen Arrangements von den Düsseldorfer Schauspielern flott und gekonnt vorgetragen werden. Von „Only you“ über „Wunder gibt es immer wieder“ bis zum „Bett im Kornfeld“ lässt Gedeon nichts aus, das zuverlässig für Stimmung sorgt.
Liederabende à la Wittenbrink oder Songdramen à la Gedeon – so nennt Letzterer seine Schöpfungen – sind in den letzten Jahren der Renner auf den deutschen Spielplänen, denn offenbar verbinden sie den Publikumshunger nach ungestraftem Amüsement mit einem mehr oder weniger nur chemisch nachweisbaren kritischen Bewusstsein, dessen sich eine subventionierte Spielstätte doch befleißigen sollte. Die Funktion der „Großen Koalition“ im Spielplan der bislang noch schlingernden neuen Hausherrin Amélie Niermeyer ist also klar. Warum man aber kühn nach einem politischen Thema greift, um es an die Klamotte zu verschenken, statt bloß einen netten Genreabend abzusingen, bleibt ein Rätsel.
So aber quält man sich durch platt gelatschte Klischees: Sechs Politiker gehören der Koalition an, die sich zwei Stunden lang gegenseitig belauert, bekämpft, begrabscht und beschwört. Zwei davon sind zur Kenntlichkeit maskiert, Esther Hausmann ist als Kanzlerin „Amanda“ eine Bonsai-Angie mit Betonfrisur und schlecht sitzendem Blazer in Bonbonfarbe. Michael Schütz ist „Bernhard“, eine freundliche Münte-Kopie mit rollendem Sauerland-R. Das restliche Personal legt sich nicht fest: ein bisschen Stoiber, ein bisschen Westerwelle, ein bisschen Özdemir, von der Leyen und Wieczorek-Zeul; aber wo bleibt Kurt Beck?
Egal, am Anfang liest das Ensemble sechsmal hintereinander einen Passus aus der Präambel des Koalitionsvertrags, jeder in einem anderen rhetorisch-ideologischen Dialekt. Das ist erstmal Realsatire, dann aber sülzen die Schnulzen los, und alsbald zieht sich das Geschehen und rutscht in Zeitlupe ab. Münte kotzt auf den Flügel, Herren und Damen lassen die Hosen runter, Zahnpasta wird verschmiert.
Schließlich betritt eine Putzfrau die Szene. Frau Hoffmann will saugen, elektrisiert aber die abgewrackten Koalitionsmitglieder zu Purzelbäumen und Fummeleien um ihre Gunst. Denn auch Frau Hoffmann ist eine potenzielle Wählerin. Im Eifer des Gefechts wird Frau Hoffmann bedauerlicherweise Opfer der ach so spitzen Deutschlandfahne und zuletzt noch im Tod einende Kraft: Die Kumpanei bei der heimlichen Entsorgung der Leiche über den Balkon führt die Bande doch noch zu einem vorläufigem Koalitionsfrieden. Fazit: ein Leib- und Magenabend für Politikmuffel, Nichtwähler und Soapgucker.
Di, 07.11., 20:00 UhrInfos: 0211-369911