piwik no script img

Archiv-Artikel

DAS URTEIL ÜBER DEN IRAKISCHEN DIKTATOR SCHAFFT KEINE AUSSÖHNUNG Saddams Schicksal interessiert nicht mehr

„Der alte Diktator ist zum Tode verurteilt, es lebe der neue Irak!“ Das Symbol der Diktatur ist abgeurteilt, nun volle Kraft voraus für den Neuanfang. Bezeichnenderweise denkt kaum jemand so – weder im Irak noch im Rest der Welt. Eine der Ursachen: In einem Land am Rande des Bürgerkrieges gibt es keine richtigen Sieger. Der tägliche Terror hat die Iraker zu sehr im Griff, als dass sie sich mit der Vergangenheit Saddams oder einer ungewissen Zukunft auseinandersetzen wollen.

Der Zeiger der Geschichte ist einfach vorangeschritten. Vor 39 Sitzungen am ersten Prozesstag hatte Saddam noch die Hauptrolle inne. Neugierig wollten die Iraker sehen, wie ihr ehemaliger Herrscher erstmals vor seine Richter tritt. Heute spielt Saddam in der politischen Szene des Irak kaum mehr eine Rolle. Das Todesurteil kam am Ende so wenig überraschend wie die Schreie, mit denen der ehemalige Diktator den Richter bei der Urteilsbegründung zu unterbrechen suchte.

Darüber hinaus ist die mit dem Prozess verfolgte Absicht längst überholt. Neben dem rechtlichen Aspekt einer Schuldfindung sollte hier Geschichte aufgearbeitet werden. Das Verfahren sollte gar einen ersten Schritt zur Aussöhnung darstellen. Heute steht das Zweistromland stattdessen vor dem Zerfall. Nicht mehr Saddams Schergen, sondern schiitische Todesschwadronen und heilige sunnitische Krieger bestimmen das Bild.

Die Lage ist so verfahren, dass sogar der Vorwurf der Siegerjustiz, der am Anfang des Prozesses erhoben wurde, inzwischen eher absurd erscheint. Ein abgeurteilter Saddam wäre eigentlich zwei Tage vor den US-Kongresswahlen ein PR-Geschenk für die Republikaner und Präsident Bush, sollte man meinen. Stattdessen sind die amerikanischen Bellezisten in die Defensive geraten. Das Wahlvolk verlangt, was den Irak betrifft, nach der besten und schnellsten Ausstiegsstrategie. Dabei wird in den USA selbst offen über Szenarien diskutiert, die die Rückkehr eines „starken Mannes“ im Irak vorsehen. Und auch wenn Saddam Hussein im Prozess kein Schuldgeständnis abgegeben hat: In den USA streuen sich die einstigen neokonservativen Kriegstreiber inzwischen mit einem „Neo Culpa“ Asche aufs Haupt. KARIM EL-GAWHARY