: Europa ohne Strom
AUS DÜSSELDORF MORITZ SCHRÖDER
Nach massiven Stromausfällen in Westeuropa hat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) die Investitionspolitik der deutschen Energieunternehmen kritisiert: „Sie müssen ihre hohen Gewinne maßgeblich für Investitionen in das Stromnetz einsetzen.“ Der italienische Regierungschef Romano Prodi forderte eine gesamteuropäische Energieagentur, um die Stromnetze in Europa besser zu organisieren.
Gabriel und Prodi reagierten auf einen länderübergreifenden Stromausfall am Samstagabend, der kurz nach 22 Uhr einsetzte, etwa eine Stunde dauerte und Europa an den Rand eines Blackouts führte. Weite Teile Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Italiens, Belgiens und Österreichs bekamen keinen Strom mehr. Insgesamt fiel nach Angaben des französischen Stromversorgers RTE bei rund zehn Millionen Menschen die Versorgung aus. In Deutschland waren vor allem Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen betroffen. Eine Sprecherin des Essener Energiekonzerns RWE sprach von einer Million KundInnen, bei denen das Licht ausging. Bundesweit verspäteten sich mehr als 100 Züge. In Frankreich waren laut RTE rund fünf Millionen Menschen vorübergehend ohne Strom.
Die Ursache für die Panne war bis gestern Abend nicht genau geklärt. Belgische und französische Betreiber machten eine ausgeschaltete 380.000-Volt-Leitung im deutschen Stromnetz für den Strommangel verantwortlich. „Eine halbe Stunde vor dem Netzausfall wurde eine Höchstspannungsleitung über der Ems nördlich von Papenburg ausgeschaltet“, so Christian Schneller, Sprecher der Eon-Tochter Netz. Dadurch sollte ein Kreuzfahrtschiff gefahrlos die Leitungen passieren können. Die Abschaltung könnte Auslöser für die Überlastung im nordwestdeutschen Netz gewesen sein.
Wahrscheinlich kam es nach dem Abschalten der Leitung zu einer Kettenreaktion. Weil weite Teile des europäischen Stromnetzes plötzlich zu wenig Spannung hatten, wurden automatisch einige kleinere Netze abgeschaltet. Dieser so genannten „Lastabwurf“ sollte dafür sorgen, dass nicht das komplette Stromnetz kollabiert. Da an die vier deutschen Energie-Verbundnetze alle großen Energieversorger Europas angeschlossen sind, machte sich der Störfall über Deutschland hinaus bemerkbar. „In diesem Ausmaß ist so etwas noch nicht vorgekommen“, sagte ein Sprecher des Energiekonzerns Vattenfall. Eon hat die Höchstspannungsleitung laut eigenen Angaben bereits mehrmals problemlos abgeschaltet.
In Deutschland äußerte sich die Störung sehr unterschiedlich. Weil nur Teile des Stromnetzes abgeschaltet wurden, blieben etwa in Köln nur einige Haushalte rund eine halbe Stunde lang ohne Strom. Der Vattenfall-Konzern, der Nord- und Ostdeutschland mit Energie beliefert, musste unter anderem eines seiner Biomasse-Kraftwerke kurzfristig abschalten.
Nach der Panne kam auch von den Grünen Kritik an fehlenden Investitionen der deutschen Netzbetreiber. „Die Energieversorgungsunternehmen machen reichlich Profit, aber tun wenig für die Verbraucher“, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Die Schelte richtet sich vor allem gegen die vier deutschen Energieunternehmen Eon, Vattenfall, RWE und EnBW, die zu den größten Europas zählen.
In den vergangenen Jahren häuften sich in Europa spektakuläre Stromausfälle. So waren im September 2003 fast ganz Italien sowie die Schweizer Stadt Genf nach einer Panne bis zu 20 Stunden lang ohne Strom. Im Münsterland fiel im vergangenen Dezember tagelang der Strom aus, nachdem durch den Wintereinbruch Dutzende Strommasten umgeknickt waren. Experten geben den Stromversorgern die Hauptschuld für die wachsende Unzuverlässigkeit des europäischen Stromnetzes. Trotz großer Gewinne investierten sie zu wenig in leistungsfähigere Stromnetze.