piwik no script img

Archiv-Artikel

Pasolini liebte die Nächte

ROM Auch zu später Stunde herrscht keine Ruhe. Außer in Winternächten, denn dann parken die Autos in den Vorstadtvierteln

„Die Feuchtigkeit hüllt alles in laue Wärme. Wie herrlich sind diese römischen Winter!“

PIER PAOLO PASOLINI

VON MICHAELA NAMUTH

Nachts ist Rom ein Dorf. Nachts, das heißt: so ab ein oder zwei Uhr morgens – natürlich nur an Wochentagen. Am Wochenende und im Sommer schläft die Stadt nie. Aber in einer Winternacht kann man spazieren gehen, denn die Autos sind in den dicht besiedelten Vorstadtvierteln geparkt. Die Plätze rücken näher aneinander. Die Touristen schlafen, damit sie morgens um sieben in der Schlange stehen können, die sie irgendwann in die Sixtinische Kapelle führt. Auch die Souvenirläden in den Gassen um den Vatikan sind geschlossen.

Wenn der letzte Motorroller vorbeigeknattert ist, hört man im Borgo Pio, der zur Engelsburg führt, einen Brunnen plätschern. Die alte Latteria des Borgo ist die einzige Bar Roms, wo die Milch noch in einem antiken Holzkühlschrank steht. Vor den geschlossenen Holzläden sitzt jetzt im Dunkeln eine Frau, die oft hier auf der Straße schläft. Sie ist blond, kommt aus der Schweiz und ist immer sauber und gut gekleidet. Sie hält mich am Jackenzipfel fest und flüstert: „Rette mich. Der Papst will mich töten.“

Aber die Geschichte kenne ich schon. Deshalb laufe ich weiter durch die Nacht. Ich überquere die Prunkstraße Via della Conciliazione, die zum Petersdom führt. Sie wurde von Mussolini gebaut. Die Bewohner des alten Borgo hat man in Mietskasernen vor der Stadt verfrachtet. Die Via dei Penitenzieri führt nach Trastevere. Es nieselt leicht. „Die Feuchtigkeit hüllt alles in laue Wärme. Wie herrlich sind diese römischen Winter“, schrieb Pier Paolo Pasolini in den 50er Jahren. Der Schriftsteller liebte die Nächte in der Stadt.

Damals war der Stadtteil Trastevere am westlichen Ufer des Tibers noch ein Arbeiterviertel, wo man in der Osteria für wenige Lire eine Karaffe Wein bekam. Später war der Brunnen auf der Piazza Santa Maria in Trastevere der Treffpunkt der Szene, die sich mit Klampfe und Kannabis die Nächte um die Ohren schlug. Heute allerdings ist es das Viertel der reichen Ausländer aus Amerika oder Deutschland, die sich Wohnungen mit Dachterrassen kaufen. Die Piazza wird jetzt von zwei Hundebesitzern überquert. Der im Trainingsanzug zerrt an der Leine eines hechelnden Rottweilers. Der andere läuft einem Miniterrier hinterher, der heiser kläfft. Die schrillen Töne hallen auf dem Kopfsteinpflaster, während ich mich in Richtung Fluss entferne.

Auf der Straße des Tiberufers fahren immer noch ein paar Autos. Ich lehne mich über die Ufermauer und sehe eine fette Ratte vorbeihuschen. „Also müssten Rom oder die Welt mit diesem alten Abend anheben, diesen tausendjährigen Gerüchen, spaziere ich den Abgrund entlang, den der Tiber barbarisch aufreißt“, schrieb Pasolini, vielleicht aus derselben Perspektive, mit der ich jetzt auf den schwarzen Fluss hinunterschaue. Die Cestio-Brücke führt auf die Tiberinsel. Hier herrscht endlich Stille. Nicht einmal die Männer aus dem Osten, die sonst unter den Brückenpfeilern Bier und Schnaps trinken, sind da. Die Winterabende sind auch ihnen zu feucht. Schnell weg zur anderen Seite des Ufers.

Der Fluss begleitet mich noch ein Stück. Dann biege ich ab zum Circo Massimo: ein dunkles, weites Feld. In einer Ecke steht eine Gruppe dunkelhäutiger junger Männer. Sie rauchen und lachen. Wahrscheinlich sind sie eben mit ihrer Arbeit in einer Restaurantküche fertig geworden. Von hier aus sieht man schon die mächtigen Ruinen der Caracalla-Thermen in den blauschwarzen Himmel ragen. Vor den Ruinen wärmten sich nachts die römischen Prostituierten am Holzfeuer – wie auch Federico Fellinis Cabiria vor 50 Jahren. Heute bauen hier die ehemaligen Kommunisten jedes Jahr weiße Plastikzelte für ihr Sommerfest auf. Das darf sich nun nicht mehr Festa dell’ Unità nennen. Aber die Römerinnen und Römer kommen gern zum Essen, denn die Restaurants sind heute kaum noch erschwinglich.

Die einstige Wiese zwischen Caracalla und Porta San Sebastiano ist inzwischen eine fünfspurige Straßenkreuzung. Hier herrscht auch nachts keine Ruhe. Von der Kreuzung führt die Via Cristofero Colombo nach draußen in die Peripherie, wo die Stadt nie richtig aufhört. Denn, so Pasolini: „Das Rom, das der Tourist nicht kennt, der Spießer nicht beachtet und die Stadtpläne nicht verzeichnen, ist eine Stadt gewaltigen Ausmaßes.“

■ Zum Weiterlesen:

Pier Paolo Pasolini: „Rom, andere Stadt“. Verlag Corso, 24,90 Euro

Martin Mosebach: „Rom: ewige Stadt. Sehnsucht im Klischee?“ Verlag Corso, 24,90 Euro