„Dieses arme Mädchen“

„Marie Antoinette“ wird sich die renommierte Wiener Historikerin und Sisi-Biografin Brigitte Hamann nicht ansehen: „Urteile über sie entbehren jeder Grundlage“, so Hamann im taz-Gespräch

INTERVIEW MARTIN REICHERT

taz: Frau Hamann, gerade ist der Film „Marie Antoinette“ von Sofia Coppola in den Kinos angelaufen …

Brigitte Hamann: Ach, du liebe Güte!

Waren Sie denn schon drin?

Nein, und ich werde auch nicht in diesen Film gehen, keine Zeit.

Andere stehen Schlange: Vielleicht weil Marie Antoinette von Sofia Coppola als eine Art Paris Hilton des 18. Jahrhundert präsentiert wird?

Paris Hilton? Ach was. Dieses arme Mädchen Marie Antoinette wurde von Maria Theresia – die sich im Übrigen selbst eine Liebesheirat gegönnt hatte – aus politischen Gründen mit dem französischen Thronfolger verheiratet, mit dem sie nichts anfangen konnte.

Eine tragische Zwangsheirat – ein Frauenfilm?

Natürlich können wir das nicht mit heutigen Verhältnissen vergleichen, aber das Thema birgt natürlich den Sisi-Effekt in sich: Marie Antoinette war ein hübsches Mädchen, hochmusikalisch und zu Wohltätigkeit und Volksnähe erzogen. Und dann gerät sie an einen langweiligen Gatten, der eher handwerkliche Interessen hatte. Man könnte auch sagen: einen Tumben.

Mit dem sie dann einen Thronfolger zeugen musste: Die Sissi-Filme waren romantischer …

Die haben auch ebenso wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun. Für Marie Antoinette war es ein Albtraum: Sie war 14 Jahre alt und er hat es immer wieder versucht und konnte nicht.

Woran lag es denn?

Er hatte eine ganz banale Phimose, eine Vorhautverengung, und wollte sich nicht beschneiden lassen. Erst Jahre später ließ er sich auf Drängen von Marie Antoinettes Bruder operieren. Dann klappte es auch – und sie wurde eine gute Mutter.

Man kennt sie nur als Hassfigur, woran liegt das?

Frankreich und Österreich waren damals Erbfeinde und Marie Antoinette war eine Projektionsfläche für diese Animositäten. „L’Autrichienne“ wurde sie genannt, die Österreichische – wobei Chienne im Französischen eben auch Hündin bedeutet.

Nicht sehr charmant!

Die meisten negativen Urteile über sie entbehren jeder Grundlage und sind reine Politpropaganda.

Das Volk hat Hunger? Dann soll es eben Kuchen essen!

Auch dies hat sie nie gesagt, man hat ihr diese Aussage im Nachhinein unterstellt. Man kann sich die Bosheit, die Intrigen und das Getratsche von Versailles im 18. Jahrhundert nicht schlimm genug vorstellen!

Man wollte sie auch sexuell denunzieren: Man machte ihr zum Vorwurf, lesbisch zu sein. Ist da was dran?

Ach was, sie hatte eben gute Freundinnen. Im 18. Jahrhundert ging es immer um Sex, wer mit wem, man hat ihr auch Legionen von Liebhabern unterstellt. Belege gibt es dafür keine. Mit wem hätte sie sich denn austauschen sollen? Einen im Vergleich fast schon bürgerlich anmutenden Wiener Hof gewohnt, kommt sie in den luxuriösen, spielsüchtigen Hof von Versailles, wo man sich in Rokoko-Spielen erging. Mit Politik hatte sie in dieser Scheinwelt dort gar nichts zu tun. Sie geriet in den Sog des französischen Luxus – was man ihr später zum Vorwurf gemacht hat.

Einen Liebhaber hatte sie aber wohl doch: Alex von Fersen. Nur im Film?

Nein, den gab es tatsächlich – er hat versucht, ihr und ihrer Familie bei der Flucht zu helfen. Er war für sie da, als sie längst keine Macht mehr hatte.

Toll!

Ja, aus der Geschichte der Marie Antoinette kann man natürlich einen Kostümfilm machen. Eine schöne Königin, die unglücklich ist. Das ist eben klassischer Kino-Stoff. Erst recht mit einem solchen Ehemann an ihrer Seite, mit dem es sich ganz wunderbar in schwarz und weiß malen lässt.

Zu welcher Lektüre raten Sie, wenn sich jemand der historischen Marie Antoinette annähern möchte?

Leider gibt bislang keine wirklich gute Biografie. Am besten ist noch immer Stefan Zweigs „Marie Antoinette – Bildnis eines mittleren Charakters“. Obwohl er kein Historiker war.

Wäre das nicht was für Sie? Ihr Sisi-Buch „Elisabeth, Kaiserin wider Willen“ hat ja bereits viel Beachtung gefunden?

Das reicht doch auch, oder? Mal sehen, ob ich mich opfere. Schau’n mer mal!