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Archiv-Artikel

Der kleine Unterschied zwischen Eizelle und Embryo

JUSTIZ Was taugt das Embryonenschutzgesetz von 1990? Dieser Frage geht ein Berliner Gericht nach

BERLIN taz | Es ist eines der medizinethisch umstrittensten Paragrafenwerke, über das seit Dienstag vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten verhandelt wird: das Embryonenschutzgesetz von 1990. Es geht dabei um nichts Geringeres als die Frage, wie viele Eizellen einer Frau, die auf natürlichem Weg nicht schwanger werden kann, nach einer Hormonstimulation künstlich befruchtet werden dürfen.

Sind es höchstens drei Eizellen? Das behauptet die Staatsanwaltschaft. Sie hat den Berliner Gynäkologen Manfred M. angeklagt, weil der 26 Frauen in seiner damaligen Berliner Praxis zwischen 2007 und 2009 vorbehandelt hat: Aufklärungsgespräche, Ultraschalluntersuchungen, Schleimhautmessungen, für sich genommen nicht strafbar.

Später aber hätten diese Frauen sich in einer der Kinderwunschkliniken von M.s Freund, dem österreichischen Reproduktionsmediziner Herbert Zech, im Ausland künstlich befruchten lassen. Und Zech wiederum habe, so die Staatsanwaltschaft, „mehr Eizellen befruchtet, als innerhalb eines Zyklus nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz übertragen werden dürfen“. Je nach Fall waren das zwischen 4 und 11 Eizellen, was im Ausland möglicherweise legal sei, aber nicht hier. Davon habe M. gewusst. Weswegen er mit seinen Vorbehandlungen Beihilfe zum Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz geleistet habe, Strafmaß: Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Manfred M. erklärte, dass die Staatsanwaltschaft das Gesetz fehlinterpretiere. Dort heiße es zwar, dass es verboten ist, „mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen“. Es würden aber, so M., „keine Eizellen übertragen, sondern Embryonen“. Und Zech habe stets maximal drei Embryonen übertragen, wie es das Gesetz fordere. Um aber überhaupt drei entwicklungsfähige Embryonen zu erhalten, sei es notwendig, zunächst viele Eizellen zu befruchten. M.: „Nur 60 bis 70 Prozent der befruchteten Eizellen sind entwicklungsfähig.“ Im Übrigen gingen viele deutsche Kliniken inzwischen nach genau der Methode vor, die auch Zech praktiziere und die im Fachjargon „deutscher Mittelweg“ heißt.

Die Richterin will nun mittels Experten der Bundesärztekammer „verifizieren, ob der deutsche Mittelweg wirklich angewendet wird“. Falls ja, sei nicht nur das Verfahren gegen M. hinfällig: „Dann ist das Gesetz nicht mehr tauglich zur Anwendung.“ Der Prozess wurde bis zur Klärung dieser Frage ausgesetzt. (Az.: 252 Js 1062/13)

HEIKE HAARHOFF