berlin, senat etc. : Kulturpolitik versenkt
Der durchaus als euphemistisch zu bezeichnenden Ankündigung des Berliner Regierenden Bürgermeisters, der Kunst- und Kulturszene werde trotz notorischer hauptstädtischer Geldknappheit auch in Zukunft finanziell kein Haar gekrümmt, hat Klaus Wowereit nun die richtigen Exekutionen folgen lassen: Kultur als eigenständiges Senatsressort ist abgeschafft. Kulturpolitik zählt ab sofort zu den Chefsachen und wird vom Roten Rathaus aus, als Anhängsel der Senatskanzlei, gestaltet – soweit von Gestalten überhaupt die Rede sein kann. Denn mit André Schmitz, Leiter der Rathauskanzlei, der im Rang eines Staatssekretärs künftig die Kulturgeschäfte verrichten soll, kommt kein Gegengewicht ins Amt. Er wird Wowereits Vorlagen gehorsamst bedienen.
Wäre Berlin Provinz mit muffiger Stadthalle für Tournee-Theater, der Ressortzuschnitt im Hause des Bürgermeisters wäre die Aufregung nicht wert. Doch die Kultur und ihre Institutionen haben in der Hauptstadt kapitale Funktion und Wirkung. Die vielschichtige hauptstädtische Szene ist Modell sowie Maßstab in der Republik und international. Die großen kulturellen Institutionen Berlins wie die Bühnen, Museen und Orchester sind künstlerische Gradmesser für den Rest des Landes. Wäre hier etwa eines der drei Opernhäuser geschlossen worden, der Schließungsakt hätte schnell auf andere Kommunen abgefärbt.
Die Kulturpolitik ist ein ernsthaftes und hartes Geschäft in Berlin, für das der regierende „Partymeister“ Wowereit wenig Sinn hat. Kultur ist Event und sexy, lautet Wowereits Devise. Sicher, die Kulturhoheit des Regierenden ist vielleicht ganz gut für zukünftige Verhandlungen mit dem Bund, wenn es darum gehen wird, die hauptstädtische Kultur mit dessen Hilfen zu finanzieren. Aber reichen wird das nicht angesichts fundamentaler Probleme der Kulturinstitutionen. Die Opern und Theaterbühnen stecken mitten in einem Strukturwandel, der fortgesetzt werden muss. Für die Museen, die Freie Szene und die Gedenkstätten braucht es alternative Strategien des Erhalts und der Eigenregie, für die die Kulturpolitik die Rahmenbedingungen schaffen müsste. Schließlich ist entscheidend, mit Investitionen den „Wirtschaftsfaktor Kultur“ in der Metropole zur stärken. Dass Chef Wowereit das anders sieht, ist eine Sache, Kulturstaatsminister Neumann war dagegen „einigermaßen verwundert“ ob der Entscheidung.
Degeneriert Berliner Kultur als Anhängsel der Senatskanzlei also in Zukunft zur Repräsentationsabteilung des Regierenden Bügermeisters? Die Sorge ist berechtigt. Jürgen Rüttgers (CDU) hat dies bereits 2005 in Nordrhein-Westfalen vorgemacht. Seither hört man von der dortigen Kulturpolitik nichts mehr.
ROLF LAUTENSCHLÄGER