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Archiv-Artikel

Flüstern und Zirpen

Wovon erzählen Geräusche? Im normalen Alltag sind sie halb bewusste Signale, mit denen man sich orientiert, Zusammenhänge herstellt oder die Wirklichkeit interpretiert. Musique concrète, die mit Geräuschen als Grundlage arbeitet, lässt sie oft abstrahiert von konkreten Ereignissen für sich klingen, oft wird ihre Herkunft durch elektronische Manipulation vollständig unkenntlich gemacht. Lässt man jedoch Spuren ihrer ursprünglichen Gestalt zurück, kann man mit ihnen neue Geschichten erzählen, die mit der Wahrnehmung spielen.

„Die Dinge, von denen der in Berlin lebende italienische Musiker Valerio Tricoli mit seinen Geräuschen auf dem Album „Miseri Lardes“ erzählt, sind der Nachtseite zugewandt. Hier raschelt und knistert es allenthalben, immer wieder flüstern Stimmen, die man zwar kaum verstehen kann, die aber wie die umgebenden Klänge an latente Bedrohung, die Vorahnung unerfreulicher Ereignisse und Spukhaftes denken lassen. Ein reines Gruselalbum ist „Miseri Lardes“ gleichwohl nicht geworden, eher eines, das Melancholie immer mit Unbehagen zusammendenkt. „In Your Ruins Is My Shelter“ lautet der letzte Titel – so ähnlich fühlt man sich in der Musik zu Hause, die sogar mal ein kleines Zitat aus dem Edith-Piaf-Chanson „La vie en rose“ einstreut.

Auch der Holländer Thomas Ankersmit, der mit dem Kollegen Tricoli schon wiederholt zusammengearbeitet hat, ist seit einigen Jahren in Berlin wohnhaft. Er arbeitet vornehmlich mit analogen Synthesizern, seine Performances können mitunter dramatisch laut geraten. Für das Album „Figueroa Terrace“ hat er sich hingegen auf sparsame, leise Klänge am Rand der Hörbarkeit beschränkt. Oft besteht seine Musik aus wenig mehr als einem feinen Sirren oder Zirpen, als würde ein Insekt vorüberfliegen.

Erst nach und nach steigert sich die knapp vierzigminütige Komposition zu einem anschwellenden Flirren aus Tönen, deren winzige Frequenzunterschiede für eine leichte Spannung sorgen, so wie ein Kribbeln auf der Haut. Allmählich weicht diese dezente Dramatik dann einer gelösten Abendstimmung, als säße man irgendwo in einem südlichen Land im Freien. Wobei man nie so recht weiß, ob da ein Umweltgeräusch mit dem Mikrofon eingefangen wurde oder einfach der Synthesizer sehr „natürlich“ klingt. Und genau aus dieser Verwirrung des Hörsinns lebt diese behutsam konstruierte Musik. TIM CASPAR BOEHME

■ Valerio Tricoli: „Miseri Lardes“ (PAN)

■ Thomas Ankersmit: „Figueroa Terrace“ (Touch/Cargo), live am 9. 5., Basic Electricity