„Eine dreckige, unsichere Zukunft“

Internationale Energieagentur prognostiziert 55 Prozent mehr Energiehunger in 25 Jahren. Neben dem Klimaproblem werde die Versorgung störanfälliger. Als Gegenmittel empfehlen die Traditionalisten den Ausbau erneuerbarer Energien

VON NICK REIMER

Der Appell fiel dramatisch aus: Die Internationale Energieagentur (IEA) ruft die Welt dringend zum Ausbau von alternativer Energien auf. „Bei der Fortschreibung der aktuellen Trends stehen wir vor einer dreckigen, unsicheren und teuren Energiezukunft“, erklärt die IEA in London, wo sie gestern ihren World Energy Outlook 2006 vorstellte. Wind- und Wasserkraft, Solar- und Bioenergie sowie Erdwärme werden bis 2030 beinahe doppelt so viel Energie liefern wie heute, prognostiziert der Bericht. Alternative Energien plus effizientere Energieausnutzung würden die Welt nicht nur sauberer und sicherer machen, sondern sich auch rechnen.

Die Internationale Energieagentur ist eine Kooperationsplattform für die Erforschung, Entwicklung, Markteinführung und Anwendung von Energietechnologien. Gegründet wurde sie in der Ölkrise 1973, heute sehen die Experten Gefahren in vergleichbaren Dimensionen: Ohne einen Kurswechsel würde die weltweite Energienachfrage bis 2030 um 53 Prozent wachsen. Gut 70 Prozent der Zunahme entfielen alleine auf China und Indien. Die Nachfrage nach Rohöl würde von 84 Millionen auf 116 Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag steigen. Das würde die Marktmacht der Opec-Staaten gewaltig steigern, weil die Produktion in den kartellfreien Ölstaaten schon etwa 2015 ihren Höhepunkt erreicht. Die Versorgung der Industrieländer würde erheblich störanfälliger. Dazu kommt das Klimaproblem: Der Kohlendioxid-Ausstoß wird sich bis 2030 um 55 Prozent im Jahr erhöhen – trotz aller Bemühungen zum Klimaschutz durch das Kiotoprotokoll. Vermutlich wird China schon in den kommenden vier Jahren die USA als größten Produzenten der Klimakiller ablösen.

Als wichtigste Mittel zur Senkung des Energieverbrauchs und des Abgasausstoßes sieht die IEA effizientere Antriebe für den Verkehr sowie Einsparungen beim Stromeinsatz für Klimaanlagen, Licht und Elektronik. „Die gute Nachricht ist, dass diese Politik sehr kosteneffizient wirkt“, erklärte IEA-Exekutivdirektor Claude Mandil. Für jeden Dollar Investitionen in die Energieeffizienz spare man zwei Dollar Investitionen in die Energie-Infrastruktur. Auch Biotreibstoffe und Atomkraft hätten Zukunft.

Allerdings: Selbst ein schneller Kurswechsel würde laut IEA den Anstieg der Energienachfrage nur bremsen. Statt 55 Prozent mehr Energiehunger würden 2030 weltweit „nur“ 45 Prozent mehr benötigt. Das würde auch der Umwelt nützen: Die Kohlendioxid-Emissionen würden bis 2030 „nur“ noch um 30 Prozent steigen.

Was die IEA-Berichte wert sind, zeigt der Blick auf den Ölmarkt: Die Internationale Energieagentur musste ihre früheren Preisprognosen korrigieren: nach oben. Zwar deute sich eine Entspannung an, hieß es in dem Bericht: „Aber neue geopolitische Spannung oder – noch schlimmer – ein größerer Angebotsrückgang könnten die Preise noch höher treiben.“ Anfang des kommenden Jahrzehnts werde der Ölpreis vermutlich zunächst auf 47 Dollar pro Barrel fallen, dann jedoch bis 2030 konstant ansteigen. Derzeit liegt der Preis bei etwa 60 Dollar pro Barrel, der Höchststand lag im Sommer bei 78 Dollar.

Es ist wahrscheinlich, dass die IEA ihre Prognosen auch künftig erhöhen wird: Bislang haben sich ihre Schätzungen in Bezug auf erneuerbare Energien stets als zu konservativ erwiesen. Im Jahresbericht 2005 hatte die Organisation den Anteil erneuerbarer Energien noch auf 14 Prozent bis 2030 veranschlagt, heute sieht sie ihn bei 16 Prozent. Der europäische Branchenverband Erec publiziert ganz andere Zubauzahlen: Nachwachsende Energie mache 2030 weltweit fast 35 Prozent aus. (mit dpa)

www.worldenergyoutlook.org/