: Mohammeds wahres Erbe
Reza Aslan stellt die Entwicklung des islamischen Glaubens in allen Facetten wunderbar präzise dar. Sein Buch ist gelehrt und gleichzeitig sehr schön zu lesen
VON HILAL SEZGIN
Als Waisenkind war Mohammed in Mekka aufgewachsen, er wurde Kaufmann. Er heiratete eine wesentlich ältere Frau, Khadidscha, seine Arbeitgeberin, deren Karawanen er führte. Zur Kontemplation zog er sich häufig in die Berge zurück. Als er im Alter von gut vierzig Jahren seine erste Offenbarung erhielt, so erzählt die Überlieferung, hatte er zunächst Angst, verrückt geworden zu sein – oder einer von diesen vielen Möchtegernpropheten, die von ihrer Botschaft besessen waren.
Dass Ende des sechsten, Anfang des siebten Jahrhunderts viele solcher dubiosen Propheten herumliefen, zeigt, wie stark die Arabische Halbinsel im Umbruch war: Sie war offen für eine religiöse Erneuerung. Bei dieser Rückschau neigt man heute gern zu Vereinfachungen; aber es ist eins der vielen Verdienste von Reza Aslans Buch, liebgewordene Vorurteile zu überprüfen und das Entstehen des Islam noch einmal ein wenig anders zu erzählen, als man es von vielen historischen Darstellungen gewohnt ist. Einleuchtend schildert der Autor das vielschichtige Nebeneinander nomadischer und kaufmännischer Lebensweisen; die alte Stammesethik zerbrach, enorme Wohlstandsgefälle traten auf. Die Kaaba in Mekka war ein Anziehungspunkt für Pilger von nah und fern, dank deren Mekka zum reichen Handelsplatz wurde.
Keineswegs allerdings, betont Aslan, war die Stadt komplett heidnisch in dem Sinne, dass die gesamte Bevölkerung der Vielgötterei huldigte; es lebten auch viele Juden und andere Monotheisten dort. Und nicht der Monotheismus war die „schockierend“ neue Botschaft Mohammeds, meint Aslan, sondern dass er die Privilegien derjenigen Mekkaner über den Haufen warf, die den Zugang zum heiligen Ort kontrollierten und wirtschaftlichen Nutzen daraus zogen.
Die Ideale des Islam entzogen den privilegierten Hütern der Kaaba den Boden. Denn mit dem Islam begründete Mohammed eine Gemeinschaft, in der jeder Gläubiger und jede Gläubige ohne die Notwendigkeit eines Vermittlers vor Gott stand. Er verkündete eine neue, egalitäre Sozialethik – hier trifft sich Aslan wieder mit anderen Darstellungen des Islam. Das gilt auch für seine Diskussion der Stellung der Frau, die daran erinnert, wie viele Rechte die Frauen durch den Koran erhielten. Es war übrigens Mohammeds Ehefrau Khadidscha, die ihn darin bestärkte, seiner Offenbarung zu dienen; und seine spätere Frau Aischa, die nach Mohammeds Tod zu den wichtigsten Überlieferern der Prophetenworte zählte.
Mohammed hinterließ bei seinem Tod keinen „fertigen“ Islam, keinen Nachfolger, keine befugten Institutionen, die das Hinterlassene auslegen sollten. Dass der Kanon der überlieferten Prophetenworte später auch frauenfeindliche Inhalte aufnahm, wird von Aslan nicht verschwiegen. Er führt dies vor allem auf den Einfluss des Kalifen Umar zurück. Eine interessante Anekdote am Rande erzählt, wie schon Alfred Lord Cromer, Ende des 19. Jahrhunderts britischer Generalkonsul in Ägypten, im Schleier ein Zeichen „für die Erniedrigung der Frau“ im Islam zu erkennen meinte. Daheim in England hatte Cromer allerdings einen Verein gegründet, der den Befürworterinnen des Frauenwahlrechts entgegentreten sollte.
Die Kalifendynastien und ihre Herrschaftsformen, die Abspaltung der Schiiten von den Sunniten, die Sufis und schließlich das Aufkommen des politischen Islam: Reza Aslan stellt die Entwicklung des islamischen Glaubens in allen Facetten wunderbar präzise dar. Sein Buch ist gelehrt und gleichzeitig sehr schön zu lesen; es kommt dem Buch offenkundig zugute, dass sein Autor auch ein gewandter literarischer Erzähler ist. Wer eine anspruchsvolle Einführung in den Islam sucht, dem sei dies Buch wärmstens empfohlen; aber auch ein belesener Muslim bekommt hier einiges, worüber er nachzudenken hat.
Einer der vielen bedenkenswerten Punkte betrifft die Trennung von Politik und Religion. In den frühen Jahrhunderten des Islam hatten die Kalifen versucht, mit der Staatsmacht auch die religiöse Deutungshoheit zu erringen. Es entwickelte sich eine Elite von geistlichen Beratern, die den Kalifen dieses Recht streitig machte: die Ulema. Leider hatte diese frühe Form von Gewaltenteilung auch ihren Preis: Nach und nach machten die Ulema das „wahre“ Verständnis des Islam ganz zu ihrer Angelegenheit.
Wie Aslan betont, saßen natürlich nie Frauen in diesem Rat, und auch anderen Laien wurde die Kompetenz für die selbstständige Auslegung des Korans immer rigoroser abgesprochen. In den Ulema sieht Aslan daher die Hauptschuldigen dafür, dass der Islam vielerorts die konservativen und frauenfeindlichen Züge annahm, die uns immer noch zu schaffen machen.
Geradezu diplomatisch geht Aslan übrigens mit der Frage um, ob der Koran Gottes offenbartes Wort ist – oder ob auch der Mensch Mohammed seinen Anteil daran hat. Nach orthodoxem Verständnis gibt es am Offenbarungscharakter des Korans keinen Zweifel. Und Aslan wagt es nie, solche Zweifel auch nur anzudeuten. Allerdings klingen einige seiner historischen Erläuterungen so, als habe Mohammed, nicht etwa die Offenbarung, auf bestimmte Umstände reagiert. Wie gesagt: Es bleibt hier äußerst diplomatisch. Doch mit diesem Buch sind die Themen für unzählige weitere spannende Diskussionen vorgegeben.
Reza Aslan: „Kein Gott außer Gott. Der Glaube der Muslime von Muhammad bis zur Gegenwart“. Aus dem Englischen von Rita Seuß, C. H. Beck, München 2006, 335 Seiten, 24,90 Euro
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