Deutsche besonders islamophob

STUDIE Über die Hälfte der Deutschen hat negative Haltung gegenüber Muslimen – doppelt so viele wie in EU-Nachbarländern. Sarrazin-Debatte nicht verantwortlich, sagen Forscher

Auch antisemitische Vorurteile sind in Deutschland stark ausgeprägt

AUS BERLIN PHILIPP GESSLER

Die Deutschen sind deutlich islamfeindlicher als vier ihrer westlichen Nachbarvölker – und sie waren es schon vor der Debatte um die Thesen Thilo Sarrazins. Das ist eines der zentralen Ergebnisse von repräsentativen Umfragen, die das „Exzellenzcluster ‚Religion und Politik‘“ der Universität Münster in fünf europäischen Ländern durchführen ließ. Demnach haben rund 58 Prozent der Westdeutschen und 62 Prozent der Ostdeutschen eine negative Haltung zu Muslimen. In Dänemark, Frankreich, den Niederlanden und Portugal schwankt dieser Wert zwischen 33 und 37 Prozent. Auch antisemitische Vorurteile sind in Deutschland demnach klar stärker ausgeprägt als in den genannten Ländern. Dem Exzellenzcluster gehören 200 Forscherinnen und Forscher aus 20 Fächern der Geistes- und Sozialwissenschaften in 11 Nationen an. Nach Angaben der Autoren ist die Studie die bislang größte repräsentative Umfrage zur religiösen Vielfalt in Europa.

Der Leiter der Studie, der Religionssoziologe Detlef Pollack, erklärte bei der Vorstellung der Untersuchung am Donnerstag in Berlin mit Blick auf die Ängste und Vorurteile gegenüber Muslimen: „Diese gab es im Verborgenen schon länger, wie unsere Erhebung zeigt. Die Debatte, die Thilo Sarrazin mit seinen provokanten Thesen angestoßen hat, macht diese Stimmung nun sichtbarer.“ Die religiöse Intoleranz vieler Deutscher wird auch an zwei weiteren Untersuchungsergebnissen deutlich. So befürworten nur etwa 28 Prozent der Westdeutschen und gar nur 19 Prozent der Ostdeutschen den Bau von Moscheen – in den vier Vergleichsländern sind dies zwischen 55 Prozent (Dänemark) und 73 Prozent (Portugal). Und: Nur 49 Prozent der Westdeutschen und 53 Prozent der Ostdeutschen sind laut der Studie der Ansicht, dass alle religiösen Gruppen gleiche Rechte haben sollten. In den Nachbarstaaten sind es dagegen zwischen 72 Prozent (Dänemark) und 89 Prozent (Portugal). Telefonisch wurden im Laufe des Sommers in jedem Staat jeweils 1.000 Menschen befragt. West- und Ostdeutschland wurden getrennt untersucht, da die Zahl der Muslime im Osten viel geringer ist als im Westen.

Angesichts deprimierender Ergebnisse über die Deutschen verwies Pollack auf eine optimistischere Zahl: Immerhin gut 80 Prozent der Westdeutschen erklärten: „Man muss alle Religionen respektieren.“ Das sei kaum weniger als in den anderen Ländern, wo dies rund 90 Prozent der Menschen bejahten. Deshalb urteilte der Experte: „Das Gefühl der Bedrohung durch den Islam unter den Deutschen ist hoch, aber die Deutschen wollen nicht unfair sein.“ Mehrheitlich wollten sie „fremde Kulturen durchaus anerkennen“.

Über die hohe Zahl der negativen Haltungen gegenüber Juden in der Bundesrepublik zeigte sich Pollack angesichts der langen Beschäftigung mit dem Holocaust in Deutschland „verwundert“. So offenbarten 28 Prozent der Westdeutschen und 29 Prozent der Ostdeutschen Ressentiments gegenüber Juden – die Vergleichszahlen: Niederlande 10 Prozent, Dänemark 12 Prozent, Frankreich und Portugal knapp 21 Prozent. Vielleicht spiele bei den Antworten ja auch die Debatte um den Nahostkonflikt eine Rolle, vermutete Pollack. Er sagte, es sei erstaunlich, dass die „kritische Aufarbeitung“ des Holocaust offenbar so wenig gebracht habe. Insgesamt aber sei die Frage durchaus berechtigt: „Was kann man noch mehr tun?“