die taz vor 20 jahren über jacques chirac und die nahostpolitik
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Der französische Premierminister Jacques Chirac hat tief in die Rezeptkiste für politische Eintopfsuppen gegriffen und ein erstaunliches Menü hervorgezaubert.

Man nehme eine Verschwörung des syrischen Geheimdienstes gegen Präsident Assad und hebe sie unter eine gut abgestandene Kampagne des israelischen Geheimdienstes gegen eben diesen Assad. Dieses explosive Gemisch verabreiche man in London einem Jordanier, der es seiner englischen Freundin unterschiebt, damit das Ganze dann in einem israelischen Passagierflugzeug so richtig aufgeht.

Dann stelle man das Ganze auf das Feuer der britischen Nahostpolitik und lasse es, nachdem es mit Hilfe eines Strohfeuers aus Washington gut durchgegart ist, vom deutschen Bundeskanzler, dem man nach der Newsweek-Groteske scheinbar alles anhängen kann, auf dem Tablett der europäischen Nahostpolitik dem erstaunten Publikum präsentieren.

Bedauerlich ist, daß bei solchen Pot-au-Feu-Gerichten die einzelnen Zutaten oft verkochen. Wir hätten gerne gewußt, was an der Beteiligung des israelischen Mossad an der Flugzeugbombe wirklich dran ist. Diesen Knochen hat Chirac seinen EG-Partnern, wie man aus dem Pariser Elyseepalast hört, ohne großes Bedauern in die Suppe geworfen, die als gemeinsame Politik gegenüber dem Nahen Osten verkauft werden soll.

Die britischen Versuche, diesen Brei besonders scharf zu mixen, sind schon gescheitert. Niemand will dem Vorstoß Londons folgen und sich die Geschäfte in Nahost durch radikale Maßnahmen gegen Syrien versalzen.

Trotz aller Dementis seitens der französischen Regierung paßt die Geschichte von der Kohlschen Verschwörungstheorie wunderbar auf die Speisekarte Frankreichs. Es soll allen recht gemacht werden: Man hält die europäische Einheit hoch und schiebt den Briten heißen Kohl in den Rachen. Thomas Reuter,

taz vom 10. 11. 1986