: Ganz behutsam und konfliktscheu
PODIUM Als Schriftsteller doch lieber nett zueinander: Florian Kessler, Initiator der neulich aufgeregt geführten Professorenkind-Literaturdebatte, lud Autoren und Betriebsleute zur Politikbesprechung in den Roten Salon
VON ANDREAS HARTMANN
Dem Kulturjournalisten und Autor Florian Kessler ist etwas geglückt, was nicht vielen Feuilletonisten vergönnt ist. Er hat einen launigen, ichbezogenen Text geschrieben, eine Polemik mit Zuspitzungen, Übertreibungen und all dem, was zu dieser Textgattung gehört, die Zeit hat ihn abgedruckt, und schon war sie da, die aufgeregt geführte Literaturdebatte. Die junge deutsche Literatur sei deswegen so uninteressant bis egal, so Kessler, weil sie von betriebsnudeligen Literatur-Akademie-Absolventen verfasst werde, deren Eltern Professoren, Lehrer oder etwas ähnlich Bürgerliches seien, was für eine als wünschenswert angesehene sozialkritische Dringlichkeit der eigenen Prosa, so die Schlussfolgerung, nicht förderlich sei.
Daraufhin: Aufregung allerorten. Die Feuilletons der anderen Zeitungen reagierten sämtlichst auf Kesslers Beitrag, und in die Jahre gekommene Schriftsteller wie Maxim Biller und Enno Stahl legten prompt nach und sagten, es sei sogar noch viel schlimmer um die aktuelle Literatur der Jungen in diesem Lande bestellt.
Immer, wenn etwas derart für eine öffentliche Erregung sorgt, und sei dies nur in den Lesestübchen von Germanisten, lädt man zum Talk, zur großen Podiumsdiskussion, auch wenn man weiß, dass dabei meist nicht wirklich etwas rumkommt. Und so diskutierte jetzt auch an gleich zwei Abenden hintereinander der Urheber der neuen Schlappschwanzliteratur-Debatte, Florian Kessler, mit jungen deutschen Autoren, Lektoren und Verlegern im Roten Salon der Berliner Volksbühne über ebendieses Elend, das sich heute zeitgenössische deutsche Literatur nennt.
Das erste Problem dieser Veranstaltung wurde dabei recht schnell deutlich: Aus dem Unruhestifter Florian Kessler wurde auf der Bühne schnell einer, der so wirkte, als habe er früher in der Schule seiner Deutschlehrerin die Aktentasche hinterhergetragen. Ganz behutsam und hundertprozentig konfliktscheu gingen die Autoren Olga Grjasnowa, Nora Bossong, Simon Urban und Thomas Klupp aber auch miteinander um und damit letztlich ganz so, als wollten sie den Vorwurf, die jungen deutschen Schriftsteller von heute stünden für rein gar nichts mehr ernsthaft ein, vor Publikum bekräftigen. Kessler warf irgendwann ein, frühere Autorengenerationen hätten sich doch auch mal über Ästhetiken und Inhalte gestritten, während seine Podiumsteilnehmer alle problemlos miteinander ein Bier trinken könnten, woraufhin Nora Bossong meinte, das werde man später hoffentlich auch tun und Olga Grjasnowa verwundert erklärte, sie verstünde gar nicht, was es denn gegen den Austausch von Nettigkeiten einzuwenden gebe.
Eine postpolitische Zeit
Es zeigte sich, dass eher unklar war, worüber man überhaupt genau diskutieren wollte. Ja, all diese jungen Autoren haben ein ansprechendes Facebook-Profil und lassen sich von ihren Verlagen irgendein Image verpassen, weil sie wissen, dass es ohne heutzutage sowieso nicht mehr geht. Und Kessler konfrontierte sie mit Namen wie Helmut Heißenbüttel und Hubert Fichte, von bekanntermaßen widerständigen Geistern aus einer vergangenen Zeit, deren Nennung wie ein Vorwurf wirkte, obwohl sich nicht einmal sicher sagen lässt, ob diese, lebten sie heute, nicht auch twittern würden. Etwa, dass sie gerade auf einem eher uninspirierten Podium in Berlin herumhockten.
Will denn wirklich niemand mehr mal wieder so richtig politisch sein wie Günter Grass oder Heinrich Böll damals? „Wir würden uns wohl alle unwohl fühlen, würden wir uns parteipolitisch zu sehr aus dem Fenster hängen“, meinte Nora Bossong. Und fügte hinzu, das liege einfach daran, dass man eben in einer anderen Zeit lebe als all die Säulenheiligen der engagierten deutschen Literatur von damals.
Eine postpolitische Zeit nämlich sei das, wurde am zweiten Tag herausgestellt, bei dem die Literaturagentin Julia Eichhorn, die Autorin und Verlegerin Nikola Richter, der Lektor Lars Claßen und der Literaturkritiker Ijoma Mangold sich irgendwie erklären mussten, ob sie sozusagen mitverantwortlich seien für die literarische Langeweile, die sie ja empfählen, verlegten oder rezensierten.
Auch in diesen postpolitischen Zeiten würde es noch dezidiert politische Literatur geben, aber eigentlich, so Ijoma Mangold, „wollen wir diese platte Politliteratur auch nicht mehr“.
Nikola Richter gab zu bedenken, dass eine Politisierung von Literatur aber auch wieder entstehen könne. Da das Bürgerliche gerade erodiere, gab sie zu bedenken, müsste die als ja zu bürgerlich geschmähte Literatur vielleicht schon bald ziemlich irritierend daherkommen.
Indirekt führte dieser Einwand zu der Erkenntnis, dass es wahnsinnig engagierte und für Aufregung sorgende Literatur sowieso weiterhin gebe, nur sei diese heute eher im konservativen Spektrum zu finden, bei Sibylle Lewitscharoff oder Martin Mosebach. „Ist nicht einfach nur der linke Schriftsteller dabei zu verschwinden?“, fragte Florian Kessler, was Ijoma Mangold bejahte und, allein schon wegen der Abwechslung, auch begrüßte.
Aber man kann beruhigt sein: Auch der dezidiert links engagierte Autor wird wiederkommen. Dietmar Dath und Thomas Meinecke würden sogar auf sich selbst zeigen und sagen: Er ist doch schon längst wieder da.