Gericht verschließt die Augen vor dem Blinden

HEILIGENDAMM Im Wasserwerferprozess von Rostock weist Gericht die Klage ab. Für das erblindete Opfer fühlt sich niemand zuständig

ROSTOCK taz | Im Wasserwerferprozess von Rostock musste das Opfer eines Polizeieinsatzes von Heiligendamm am Freitag erneut einen Rückschlag hinnehmen. Die 3. Zivilkammer des Landgerichts Rostock wies die Klage des 39-jährigen Steffen B. aus Potsdam zurück. Der Mann hatte in einem Zivilprozess das Land Mecklenburg-Vorpommern auf Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro verklagt, weil er durch einen Wasserwerfereinsatz bei den Anti-G-8-Protesten in Heiligendamm 2007 auf dem linken Auge erblindete.

Bei dem Polizeieinsatz war der Kläger am 7. Juni 2007 vom Strahl eines Wasserwerfers ins Gesicht getroffen worden, wobei sein linkes Jochbein zertrümmert sowie ein Augenlid halb abgerissen wurde. Weil der Rettungssanitäter seitdem auf dem linken Auge blind ist, darf er keine Rettungswagen mehr fahren. Heute lebt er von Hartz IV.

In seinem Entscheid folgte das Gericht nun der Argumentation des Landes – und sah mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern den falschen Adressaten beschuldigt. Weil der Polizist, der den Wasserwerfer bedient haben soll, aus Nordrhein-Westfalen stammt und nur im Rahmen der Amtshilfe tätig geworden sei, könne das Land Mecklenburg-Vorpommern nicht als Beschuldigter zur Verantwortung gezogen werden, beschied das Gericht.

Die etwas sperrige Formulierung lautet: Die Verantwortung trägt „diejenige Körperschaft, in deren Diensten der pflichtwidrig handelnde Amtsträger“ stand – also das Land Nordrhein-Westfalen.

Damit ist also noch nichts zur Sache gesagt. Vielmehr hat Steffen B. laut Auslegung des Gerichts schlicht die Falschen angeklagt. Er kann nun Berufung einlegen oder versuchen, seine Ansprüche gegenüber dem Land Nordrhein-Westfalen geltend zu machen. Steffen Sauer, Anwalt des Klägers, sagte der taz: „Die Begründung des Gerichts entspricht einer absoluten Minderheitsmeinung in der Rechtsprechung. Es gibt nur ein Urteil, das diese Einschätzung deckt. Alle anderen Lehrmeinungen und Urteile kommen zu anderen Rechtsauffassungen.“ Er kündigte an, in Berufung zu gehen. „Das Oberlandesgericht Rostock kann sich ja noch der Meinung anschließen, die auch alle anderen Gerichte vertreten.“

Damit geht für Steffen B. ein aufreibender Rechtsstreit weiter. Schon ein Strafprozess gegen die Polizeibeamten hatte gar nicht erst stattgefunden, weil die Rostocker Staatsanwaltschaft den Vorfall als „bedauerlichen Unfall“ wertete und die Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung 2009 einstellte. Eine dagegen eingereichte Beschwerde wies dann auch das Oberlandesgericht Rostock zurück.

Zuletzt war infolge eines Polizeieinsatzes in Stuttgart am 30. September der Rentner Dietrich W. durch einen Wasserwerfer schwer am Auge verletzt worden und dadurch erblindet. Auch er und drei weitere Augenverletzte von Stuttgart klagen nun dort gegen das Land. MARTIN KAUL