: Rot-braun auf ostfriesisch?
Im Kreistag von Leer drohe eine Zusammenarbeit zwischen SPD und einem als Volksverhetzer verurteilten Lokalpolitiker, warnen CDU und Grüne. Die Sozialdemokraten weisen die Vorwürfe zurück: Man setze auf „wechselnde Mehrheiten“
VON KAI SCHÖNEBERG
„Es muss auch mal Schluss sein mit den Selbstanklagen. Die Juden sind ausreichend entschädigt worden.“ Solche Sätze gehen dem Rechtsanwalt Gerd Koch aus Leer gern mal über die Lippen. Dennoch könnte der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Kommunalpolitiker künftig im Kreistag von Leer mit der SPD und der FDP zusammenarbeiten. „Da droht eine rot-braune Koalition“, empört sich die grüne Kreisfraktionschefin Meta Janssen-Kusz. Ulf Thiele, Generalsekretär der Landes-CDU und gleichzeitig Chef der Partei im Kreis, warnt vor einem „demokratischen Sündenfall“.
Seit den Kommunalwahlen im September können SPD und FDP im Kreistag nicht mehr allein regieren: Die SPD hat nur noch 23 Sitze plus Landrat, die FDP zwei Sitze. Selbst mit dem Kandidaten der Linkspartei fehlt noch eine Stimme zur Mehrheit. Vor der konstituierenden Sitzung des Gremiums am heutigen Montag hätten sie auf Grüne oder CDU zugehen müssen, um über Posten in Ausschüssen zu verhandeln, sagen Thiele und Janssen-Kusz. Von der SPD hat es aber Thiele zufolge „bislang kein Signal gegeben, mit uns zusammenzuarbeiten“. Übrig bleibe den Roten also nur, Stimmen bei der Allgemeinen Wählergemeinschaft (AWG) des „Rechtspopulisten“ Koch zu suchen. „Die SPD redet nicht mit den demokratischen Parteien, obwohl sie weiß, dass sie keine Mehrheit hat“, sagt Janssen-Kusz, die auch Landtagsabgeordnete ist. Morgens beim Bäcker habe ihr Koch bereits angedroht, dass er „einen Gesprächstermin mit dem Landrat hat“. Der ist SPD-Mann.
Bei den Stichwahlen zur Bürgermeisterwahl in Leer sahnte Koch im September 30,2 Prozent der Stimmen ab – auch, weil sich die Stadt-CDU nicht zu einem Wahlaufruf für den unabhängigen Ex-Sozialdemokraten Wolfgang Kellner hatte durchringen können. Zudem pflegt er enge Kungelfreundschaften zu lokalen Christdemokraten. Inzwischen hat sich die Partei im Leerer Rat deshalb gespalten: Vier der unlängst gewählten CDU-Ratsmitglieder gründeten eine eigene „Fraktion für Leer“.
Das Landgericht Aurich verurteilte Koch im Juli 2003 wegen Volksverhetzung und Beleidigung zu einer Geldstrafe von 4.000 Mark und fünf Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Er hatte Kurden und Syrer attackiert und die Ausländerbeauftragte der Stadt sexuell beleidigt. Schon früher war Koch – wegen dem Gericht zufolge „offensichtlich vorhandener antisemitischer Ressentiments“ – wegen Beleidigung verurteilt worden: Er hatte die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in einem Schreiben als „Leeraner Judenverein (oder so)“ bezeichnet. Zu Panzerlieferungen an die Türkei meinte er, die Panzer könnten ruhig in Deutschland getestet werden, weil es hier genug Kurden gebe.
Im Kreistag ist Kochs Wählervereinigung mit drei Sitzen vertreten. Und auch Johanne Modder ist auf die heutige erste Sitzung nach der Wahl „sehr gespannt“. Es sei allerdings „völliger Quatsch“, dass ihre Partei mit Kochs Wählergemeinschaft zusammenarbeiten wolle, sagt die SPD-Kreisvorsitzende und Landtagsabgeordnete. „Wir lassen uns von der AWG auch nicht tolerieren.“ Koalitionen werde es aber auch weder mit Grünen noch mit der CDU geben, die SPD setze vielmehr auf „wechselnde Mehrheiten“. Sie könne sich nicht vorstellen, sagt Modder, „dass die CDU gegen die Verbreiterung einer Brücke stimmt, die wichtig für die Meyer-Werft ist“. Auch bei Personalentscheidungen sieht sie Möglichkeiten, Abgeordnete von CDU oder Grünen ins rot-gelbe Boot holen zu können.
Schwarz und Grün haben sich indes schon auf eine breite Zusammenarbeit geeinigt: Die CDU will mehrere grüne Anträge unterstützen, darunter den für den Erhalt eines Gleichstellungsausschusses. Dafür wollen Janssen-Kusz und weitere drei grüne Abgeordnete einen stellvertretenden Landrat der CDU wählen. Unabhängige Kenner der örtlichen Verhältnisse sind derweil sicher, dass es in einzelnen Fällen zur Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und AWD kommen könnte: „Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die SPD von Koch unterstützen lässt.“
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