: Bollywood-Kitsch im Erzgebirge
Das Erzählen interessiert ihn mehr, als das Erzählte selbst darzustellen: Till Endemann dreht Filme und schreibt Geschichten über jugendliche Ziellosigkeit und existenzielle Verlorenheit. Und über Inder, die Filme in den neuen Bundesländern drehen
VON ANDREAS RESCH
Till Endemann ist ein echtes Multitalent. Nicht nur hat er bereits vier Spielfilme gedreht, sondern vor kurzem mit „Heilige Kühe“ auch seinen ersten Roman veröffentlicht. Während unseres Treffens in einem Café in der Dunckerstraße dudelt aus den Lautsprechern indische Popmusik, die aus einem Bollywoodfilm stammen könnte. Weil nun wiederum „Heilige Kühe“ von den Dreharbeiten an einem Bollywoodfilm handelt, bekommt unsere Unterhaltung etwas seltsam Inszeniertes – als hätten die Cafébetreiber versucht, eine möglichst stimmige Atmosphäre zu erzeugen und wären dabei, bollywoodtypisch, übers Ziel hinausgeschossen.
Endemann, 30, in Hamburg aufgewachsen und seit drei Jahren in Berlin, ist ein konzentrierter Gesprächspartner, der – norddeutsch-kühl – selten abschweift, in seiner trockenen Art aber sehr sympathisch ist. Als Kind von zwei Schauspielern verbrachte er schon früh viele Abende im Theater. Doch anders als seine Eltern hat ihn „das Erzählen mehr interessiert, als das Erzählte selber darzustellen“. So begann er, kurze Texte zu verfassen. Da er dabei visuell vorging, oft „den inneren Monolog der Figuren in Bildern, Gesten und Aktionen“ festhielt, entschied er sich schließlich für ein Filmstudium in Ludwigsburg und drehte seine ersten Kurzfilme.
Allerdings wollte er „möglichst bald über den Kurzfilmstatus hinauskommen, um tiefer in Figuren eintauchen zu können“, und drehte dann „Rückkehr in den Dschungel“ (2002), danach „Mondlandung“ (2003). Im vergangenen Jahr fand sein dritter Spielfilm „Das Lächeln der Tiefseefische“ den Weg in die Kinos. Der Film spielt auf Usedom und erzählt die Geschichte des Schulabbrechers Malte, dessen Leben aus den Fugen gerät, als seine ältere Schwester mit ihrem Sohn genau in dem Moment nach Hause zurückkehrt, als er sich zum ersten Mal richtig verliebt. Malte stolpert von einem Unglück ins nächste und muss sich dabei auch noch um seinen alkoholkranken Vater kümmern.
In melancholischen Bildern fängt der Film Maltes Verlorenheit ein und offenbart dabei Endemanns Gespür für Figuren und deren Emotionen. Während der Dreharbeiten sei vor allem die Kommunikation mit den jungen Darstellern interessant gewesen, erzählt Endemann: „Wo für den einen klare Ansagen am besten sind, lässt man dem anderen lieber seine Freiheit. Da darf man als Regisseur nicht so festgefahren sein.“
In „Kometen“, einem Film, den er direkt im Anschluss drehte und der voraussichtlich im nächsten Jahr in die Kinos kommen wird, kreuzen sich die Wege von neun Menschen, während sich ein Komet der Erde nähert. Der Film überzeugt durch seine atmosphärische Dichte, die unter anderem durch eine Vielzahl an Science-Fiction-Zitaten erzeugt wird. So erinnert der Unternehmensberater Jakob nicht nur äußerlich an den Spezialagenten Dale Cooper aus „Twin Peaks“, sondern teilt auch dessen innige Beziehung zu seinem Diktiergerät.
Nach zwei Filmen innerhalb von so kurzer Zeit war Till Endemann „erst mal ein bisschen setmüde“. So nutzte er eine längere Drehpause dazu, einen Roman zu schreiben. In „Heilige Kühe“ fällt eine indische Filmcrew in ein Dorf im Erzgebirge ein, um eine Liebesszene im Schnee zu drehen. Im Zentrum der Handlung steht jedoch eine andere Liebesgeschichte – die zwischen dem indischen Filmstar Yash und dem Dorfmädchen Charlie.
Was „Heilige Kühe“ so unterhaltsam macht, sind die dem Bollywoodkino entlehnten Kitschelemente, die ständig in die Story einfließen. Die zentralen Motive – unerlaubte Liebe, das Ringen um Geld und Macht – sind, so Endemann, „Themen, die in jedem Bollywoodfilm eine wichtige Rolle spielen“. Allerdings werden sie in seinem Roman immer wieder gebrochen oder verfremdet. Auf die Idee zu der Geschichte ist Endemann gekommen, als er vor einiger Zeit davon hörte, dass immer wieder Teile von Bollywood-Filmen in der Schweiz gedreht werden. „Ich habe mir dann überlegt: Wo überall gibt es in Deutschland Berge? Anschließend habe ich versucht, einen sehr speziellen Ort zu finden, der den größtmöglichen Kontrast zum bunten Trubel Bollywoods bietet.“
In seiner visuell angelegten Dramaturgie scheint „Heilige Kühe“ ideal für eine Verfilmung. Und tatsächlich erzählt Endemann, dass er gerade an einer Drehbuchfassung arbeitet. Danach spricht er noch über Michael Winterbottom, den er dafür bewundert, dass er „für jede Geschichte einen eigenen Stil und eine eigene Form der Umsetzung findet“. Dann muss sich Till Endemann schon wieder auf den Weg machen. Er hat noch einen Termin. Denn anders als seine bisweilen etwas ziellos wirkenden Figuren ist er ständig in Bewegung, um an der Realisierung seiner Ideen zu arbeiten.
Till Endemann: „Heilige Kühe“. Piper Verlag 2006. 250 S., 12 €