Der konservative Betriebsunfall

Der neue Asta der TU Berlin wird erstmals seit 40 Jahren von Liberalen dominiert. Für die Linken ein schwerer Schlag. Denn auch die Druckerei soll geschlossen werden. Die erste ordentliche Sitzung der neuen Referenten zeigt: Die Übergabe ist schwierig und hängt von den Mitarbeitern ab

Von DOMINIK SCHOTTNER

Nicht einmal ein Bier will Mats* „mit denen“ trinken. „Wie soll das gehen?“, fragt er, legt die Hände in den Nacken, überdehnt seinen Körper und lehnt sich auf seinem Bürostuhl nach hinten. Ein kurzer, lauter Lacher, dann fragt Mats noch einmal: „Mit denen?“ Nein, das könne er nicht. Er, Mats, der 31 Jahre alte Soziologie- und Politikstudent, er, der Linke, soll mit den neuen Referenten des Allgemeinen Studierendenausschusses (Asta) der Technischen Universität (TU) Berlin ein Bier trinken? Später wird ein anderer Linker sagen, dass so ein gemeinsames Bier eine „No-go-Area“ sei, vergleichbar mit dem Vorschlag, ein taz-Redakteur solle sich mit einem stadtbekannten Nazi besaufen. Dass mit „denen“ keine neonazistischen Menschenhasser gemeint sind, sondern konservative und liberale Studierende, Ausländer und Frauen, die für die Dauer einer Legislaturperiode demokratisch gewählt wurden – vergessen.

Mats arbeitet in der Asta-Druckerei, um sich sein Studium zu finanzieren, 9,625 Stunden pro Woche für rund 10 Euro die Stunde. Sein Job: Druckwerke linker, links fühlender oder sonst wie mit dem Asta verbandelter Gruppen produzieren. Also „alles, was der Asta genehmigt“, erklärt Mats, „plus ein paar externer Aufträge“. Die wuchtige, bald 20 Jahre alte Druckmaschine steht im Erdgeschoss der Asta-Villa auf dem TU-Campus in der Charlottenburger Marchstraße. Dunkel ist es in dem schlauchartigen Raum, die Luft ein Geruchsgemisch aus Schmiere, Farbe, Menschen und Computern. In Schubfächern liegen Entwürfe für Flyer, daneben auf dem Tisch halbfertige Plakate, die darauf warten, eine zweite Schicht Farbe zu bekommen. Ein Monitor wirft bläuliches Licht in den Raum, die Jalousien sind fast vollständig heruntergelassen, andere Fenster verrammelt.

Der Asta wurde bis zum vergangenen Sommer etwas mehr als 40 Jahre lang vom Breiten Linken Bündnis, dem BreiLiBü, geführt. Auch seine Druckerei war ein fester Bestandteil linker Infrastruktur in Berlin. Wer Plakate für eine Demo gegen die Unterdrückung der Frauen in Afghanistan drucken lassen wollte, Broschüren gegen den Sozialabbau oder das Alternative Vorlesungsverzeichnis, kam hierher. Ein paar Herren und eine Frau wollen das nun ändern, am liebsten sofort: Sie wollen die Druckerei schnellstmöglich schließen. Eine weitere fixe Idee der Asta-Referenten ist der Umzug in das Hauptgebäude (Seeringer: „Die Villa ist doch zu groß!“). Ob dort Räume für sie zur Verfügung stehen, wissen sie allerdings noch nicht.

Neun der zehn neuen Asta-Referenten bezeichnen sich selbst als „tendenziell liberalkonservativ“. Dass es sie gibt, verdanken sie in erster Linie den Nichtwählern. Oder besser: den linken Nichtwählern. Denn bei der Wahl des Studierendenparlaments im vergangenen Sommersemester haben gerade mal 6,8 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben, davon aber außergewöhnlich viele von der Fakultät 8 für Wirtschaft und Management. Die Folge: Die Kandidaten des CDU-nahen Rings Christdemokratischer Studenten (RCDS) und die Kandidaten der Unabhängigen Listen (UL) gewannen die Mehrheit der Sitze und wählten ihre Getreuen in die Ämter. Selbstkritisch gibt Mats zu: Es habe „nicht ausreichend Engagement“ bei den Linken gegeben.

Andreas Seeringer ist 26 Jahre alt, Sprecher der UL und stellvertretender Vorsitzender des neuen Asta. Als wolle er ein gängiges Klischee für VWL-Studenten demontieren, trägt er einen beigefarbenen Rippenoptik-Pullover statt eines blauen Businesshemds, eine filigrane Brille und kurze, ungegelte Haare. Eigentlich könnte er mit Mats an einem Tisch sitzen und Bier trinken. Doch zwischen ihnen steht der Konflikt um die Druckerei:„Wir vermuten, dass dort fünf Leute die Maschine putzen“, sagt Seeringer. Auch von anderer Stelle war die Druckerei vor fünf Jahren schon einmal gerügt worden: Der Landesrechnungshof, der die Finanzen des Asta kontrolliert, hatte damals ähnlich argumentiert wie Seeringer. Der Finanzreferent des Asta konnte damals nachweisen, dass die Behauptung haltlos war. Die Maschinen wurden nicht gestoppt.

Vergangener Freitag, 12 Uhr, Rudi-Dutschke-Plenarium: Lediglich eine Handvoll Referenten ist pünktlich zur ersten ordentlichen Sitzung versammelt. Auch der Vorsitzende Gottfried Ludewig vom RCDS fehlt. Kein Problem, Seeringer ist da und springt ein, er, der Referent für Öffentlichkeitsarbeit. Überschwänglich lobt er die Berichterstattung der taz, das sei man nicht gewohnt, sagt er und tätschelt eine Welt, die neben ihm liegt. Dann wandert sein Blick an den Wänden entlang. Was er dort sieht, muss ihm, dem Konservativen, wenigstens einen hämischen Kommentar abringen, denkt man: Auf einem Poster steht in greller Farbe „Sexistische Kackscheiße“, auf einem anderen wirbt die Linke Liste für ein „Leben als Sabotage“. Ein drittes kündigt den „Internationalen Lesbenkampftag“ an, fordert „Freiheit für Kurdistan“ und „einen weltweiten revolutionären FrauenLesbenbefreiungskampf“ und das alles am „Samstag, 9. März, 11 Uhr, An der Josefshöhe in Bonn“. Und was sagt Seeringer dazu? „Schön. Ist doch witzig.“

Seeringers Stimme hüpft aufgeregt. Statt die Sitzung zu eröffnen, erzählt der PR-Mann von sich und der Firma für Veranstaltungstechnik, deren Inhaber er ist. Da sei er „so hineingerutscht“, erzählt er kumpelig. „Sie wissen ja, wie das ist: Irgendwann steht man leicht doof da, weil man ja eigentlich als Angestellter arbeiten wollte und nicht als Selbstständiger.“

Als seine Mitreferenten den Raum betreten, begrüßt er sie mit „Herr“ und „Frau“. Platte Koketterie, aber durchaus auch ein kleines Zeichen für die Ernsthaftigkeit, die die Neuen beim alten Asta vermisst haben und deswegen einführen wollen. Ob sie das schaffen, hängt jedoch von der Kooperation der Mitarbeiter wie Mats ab. Auch ihre Verträge wurden noch unter dem alten, linken Asta abgeschlossen. „Jetzt sind wir halt nur noch Angestellte“ sagt ein Asta-Mitarbeiter, der wie alle seine Kollegen weder seinen Namen noch sein Foto in der Zeitung gedruckt sehen möchte. Warum? „Ist halt so.“

Im Rudi-Dutschke-Plenarium läuft inzwischen die Sitzung, leicht hochtourig und nicht ohne Stottern. Die neuen Referenten beklagen, noch immer keine Liste der vorhandenen Schlüssel zu besitzen. Die anwesenden Asta-Beschäftigten antworten, die habe schon immer der Pförtner verwaltet. Die Neuen fordern eine Übersicht über die aktuelle Auftragslage der Druckerei. Mats sagt, dazu müsse er runtergehen ins Erdgeschoss. Später kehrt er mit einem Blatt Papier zurück, auf dem er vier Aufträge handschriftlich aufgelistet hat. Doch die Druckerei interessiert jetzt schon niemanden mehr: Der Finanzreferent ist da. Ein Raunen geht durch die Reihe der Neuen. Bislang hätten sie noch keinen Kontakt zu ihm gehabt, sagen sie.

Martin Mallwitz ist der letzte Linke unter den Referenten. Seine Wahl nannte Gottfried Ludewig einen „Betriebsunfall“. Damit sie ihre Arbeit zügig aufnehmen können, fordern Ludewig und sein Team erst einmal eine ganze Menge von Mallwitz: Kassensturz, Liste der abonnierten Tageszeitungen, Errechnung des Vermögens des Asta, alles bis zur nächsten Sitzung in einer Woche, „Fristverlängerung ist möglich.“

Drucker Mats verfolgt das chaotische Treiben mal belustigt, mal sehr nachdenklich. Wenn er gefragt wird, antwortet er brav. Und wenn er nicht gefragt wird, kommentiert er das holzfällerartige Verhalten der Neuen mit einem süffisanten Grinsen. Auf seinem Schoß liegt ein Notizblock. Zwei der wenigen Wörter, die sich in den zwei Stunden seit Beginn der Sitzung dorthin verirrt haben, sind „Ludewig“ und „Rheinländer“. Mit denen kann man ja bekanntlich ganz gut trinken.

* Name geändert