: Die Unfassbare
VON WALTRAUD SCHWAB
Mit Martina Gedeck, der Schauspielerin, lässt sich schön plaudern. Über den Sommer 06 und was sie gemacht hat. „Ja, was hab ich da gemacht? Schauen Sie, ich weiß es schon nicht mehr.“ Haben Sie einen Film gedreht? „Nein. Im Sommer, ach so, da war die Fußballweltmeisterschaft. Da war ich in Berlin. Da war ich sehr glücklich, muss ich sagen. Das hat mir gut gefallen.“ Was hat ihr gefallen? „Wir waren draußen auf Plätzen. Man setzt sich da nicht in sein Kämmerlein und schaut fern.“ Die Fanmeile allerdings habe sie gemieden. Zu viele Leute. Sie werde in der Öffentlichkeit erkannt. Als sie das sagt, zieht Gedeck die Schultern an, duckt sich, als wolle sie sich hinter dem Tisch im Salon des Berliner Fünfsternehotels verstecken.
Martina Gedeck ist ein gefeierter Star. Mit jedem Film wird sie besser, sagen die Kritiker. Vor drei Wochen ist „Sommer 04“ in die Kinos gekommen. Sie spielt Miriam, die Lebensgefährtin eines Hochschullehrers. Gemeinsam mit ihm, ihrem Sohn und dessen 12-jähriger frühreifer Freundin Livia verbringen sie die Ferien an der Nordsee. Bald scheint es, als konkurrierten Miriam und Livia um einen Amerikaner, der sich auch dort aufhält. Am Ende wird Livia tot und Miriam nicht schuldlos daran sein. Die Akteure wirken kalt, gar nicht aufeinander bezogen. So wird die Entfremdung zwischen ihnen erst deutlich. „Es spielt sich in diesem Film viel in den Lücken ab“, sagt Gedeck.
Entfremdung, Verfremdung – das sind Stichworte nicht nur für diesen Film, auch für die Schauspielerin selbst taugen sie: Wer sie fotografieren will, muss, sagt die Agentin vom Filmverleih, „die Maske“ bezahlen. Ungeschminkt geht es nicht. Und wer über sie schreiben will, muss einen Vertrag unterzeichnen. In dem gibt man die Kontrolle über den noch gar nicht geschriebenen Text ab. Jeden Satz der Schauspielerin soll man sich kontextbezogen drei Tage vor Erscheinen autorisieren lassen. Ob er dann unverfremdet zurückkommt? „Ich sage dazu jetzt nichts. Es ist nicht Gegenstand unserer Gesprächs“, antwortet Gedeck. Ist es aber doch. Es geht hier um sie. Als Schauspielerin ist sie ein Vorbild. Was sie denkt, interessiert. Es geht nicht um ein Abziehbild.
Unruhig sitzt die Schauspielerin hinter dem großen Tisch, sie streicht sich die dunklen Haare aus dem Gesicht, trinkt Kaffee, plaudert über die Fußball-WM und darüber, dass sie diesen Sommer auch noch Hörbücher aufgenommen hat. „Wälsungenblut“ von Thomas Mann. „Angst“ von Stefan Zweig.
Gedeck ist eine vielseitige Künstlerin: Film, Theater, Fernsehspiele, Lesungen macht sie. „Ich finde, wenn man eine Berufung hat, sollte man der auch nachgehen.“ Wobei sie, trotz Berufung, zwischen dem, was sie tut, und ihrem Alltag trennt. Sie trage, erzählt sie, Rollen nicht mit sich herum. Wenn sie im Film stirbt, etwa in „Das Leben der anderen“, dann spielt sie das Sterben, und danach ist Feierabend.
Sie erklärt sich ihr pragmatisches Verhältnis zu den Rollen damit, dass sie als Schauspielerin nicht gestaltet, sondern interpretiert. Ihr wird ein fertiges Drehbuch in die Hand gedrückt. „Ich lese den Text, gucke, in was für Situationen die Figur kommt, und konzipiere ein Bild von ihr.“ Das macht sie ein paar Stunden am Tag, danach „bin ich ich selbst“. Vom eigenen Satz irritiert, fügt sie hinzu: „Obwohl, ich bin auch ich selbst, wenn ich am Text arbeite.“
Situativ reagiert Gedeck auf jede Frage. Mal so, mal so. Was sie erzählt, wirkt dahingesagt. Dabei entstehen mitunter tiefgründige Wendungen. Etwa: „Die Kür ist, sich vom Alltag inspirieren zu lassen. Die Pflicht, den Text zu lernen.“ Oder: „Der Schauspieler muss sich davon befreien, dass er bestimmt wird.“ Auch: „Wenn es das objektive Porträt von mir gäbe, dann bräuchte man ja nur eines zu schreiben.“
Ein Freibrief, der es erlaubte, der 45-Jährigen persönliche Fragen zu stellen, um zu erfahren, wer der Mensch hinter den Rollen ist – den Christas, Martas, Paulas –, ist die zuletzt zitierte Erkenntnis nicht. Gern spricht sie über ihre Filme, über sich spricht sie nicht. Ein Lieblingswort, mit dem die Schauspielerin deshalb in den Medien beschrieben wird, lautet „rätselhaft“. Auf ihre Verschwiegenheit angesprochen, wehrt sie ab. „Ich weiß nicht, was Sie über mich noch in Erfahrung bringen wollen. Was man über mich weiß, ist sehr viel. Es gibt unzählige Filme und unzählige Interviews dazu. Mehr muss man nicht wissen.“ Aber die Herausforderung ist doch, immer mehr wissen zu wollen. „Ja, Ihre. Aber das ist nicht interessant.“
Gedeck wehrt sich dagegen, dass der Schauspielerberuf „den Nimbus des Glorifizierten“, wie sie sagt, hat. „Das Spielen ist ein künstlicher Vorgang. Mit der Wirklichkeit hat das für mich nichts zu tun.“ Diese Antwort irritiert, weil sie wahr ist und falsch. Falsch, weil nicht zu verhindern ist, dass die Akteure in Filmen, vor allem in guten Filmen, Stars sind. Und öffentliche Personen. Diese Rolle jedoch nimmt Gedeck nicht an. Sie gehe, schreiben die Zeitungen, nie auf Partys. „Was wissen die Medien, auf wie vielen Partys und Events ich war. Das sind halt alles Klischees. Da wird einem was angepappt.“ Schon 50 Interviews habe sie 2006 gegeben. Das sei doch was.
Reiheninterviews wie dieses hier, im dunkelrot gestrichenen Hotelsalon mit der Schale geschnittenen Obstes vor sich. Melonen, Weintrauben, Birnen. Dass sie in den Gesprächen die immer gleichen Fragen beantworten soll, störe sie nicht. Im Gegenteil, die Wiederholung beflügele sie. Es ziehe sie an, dass ein Vorgang wiederholt wird. „Da kann ich Entwicklungen ablesen, mich verfeinern.“ Man sollte also immer die Letzte sein, die mit ihr spricht. Oder die Erste?
Gedeck hat ein offenes Gesicht. Die asymmetrisch stehenden Augen, das Grübchen auf der rechten Wange, wenn sie lacht, der prägnante Unterkiefer verstärken ihren eigenwilligen Ausdruck. Vordergründig wirken denn auch ihre Filmrollen so: Hier kommt eine selbstbewusste, eigensinnige Person: Marta, die passionierte Köchin in „Bella Marta“, Christiane, die Femme fatale in „Elementarteilchen“, Christa, die Schauspielerin in „Das Leben der anderen“, die in der DDR mit einem Parteibonzen ins Bett geht, um spielen zu dürfen. Selbst Lilo, mehr Luder als Mutter in „Das Leben ist eine Baustelle“ ist eine Frau, die vom Leben etwas will. Es hilft nichts: Am Ende werden sie alle domestiziert. In der Regel von einem Mann. Oder einem Mann und Kindern. Wenn dieses Happy End nicht plausibel erscheint, sterben sie. Vorzugsweise durch Selbstmord. Der Tod ist die Zähmung. Die Message in diesen Filmen ist stets: Eine Eigenwillige, Selbstbewusste muss von einer stärkeren Macht gebändigt werden.
Vielleicht lässt Gedeck – beeinflusst durch dieses Filmbotschaften – deshalb niemanden an Erfahrungen, die tief gehen, teilhaben. Was macht Sie traurig? „Dass die Deutschen das Spielerische ausgeklammert haben.“ Was hat Sie glücklich gemacht? „Die Fußballweltmeisterschaft.“ Können Sie auch sagen, was Sie von Ulrich Wildgruber, dem passionierten Schauspieler, gelernt, wie Sie seinen Selbstmord verarbeitet haben? „Das geht Sie nichts an.“ Wildgruber war ihr Lebensgefährte.
Also wird weitergeplaudert: Gedeck wuchs in Bayern auf, kam neunjährig nach Berlin. Sie habe die Großmutter, die dort geblieben war, vermisst. An die Warteschlangen an den DDR-Grenzen bei Ferienfahrten kann sie sich noch lebhaft erinnern. Gedeck gehört zu jenen Berlinerinnen, die seither auf Reisen Proviant einpacken. Es könnte ja sein, dass man mal irgendwo festsitzt. Später hat sie Germanistik studiert. Aber das Studium war ihr zu verkopft, deshalb hat sie sich an der Schauspielschule beworben und wurde angenommen. Eine gesellschaftliche Verpflichtung, sich zu engagieren, habe ein Schauspieler nicht, sagt sie. Sie allerdings engagiere sich. Wo, will sie nicht sagen. Hingegen findet sie, dass es eine zwingende Notwendigkeit gibt, bestimmte Dinge zu tun, wenn man Kultur macht. Welche? Eben Thomas Mann lesen. Der habe sie früher nicht interessiert. Jetzt könne sie das nachholen.
Überhaupt findet Gedeck Lesungen gut. „Da hab ich einen eineinhalbstündigen Monolog. Da steckt viel mehr Gestaltungsfreiheit drin. Ich bin halt gern frei. Beim Film wird man doch zu sehr beschnitten.“ Es ist ein großer Satz: Ich bin halt gern frei. Und was bedeutet er? „Dass mir niemand in die Gestaltung reinredet, so hart es klingen mag.“
Ein guter Regisseur rede ihr auch nicht rein. „Die Art, wie jemand spricht, wie jemand Pausen setzt, wie jemand atmet, das ist so intim, das ist die Freiheit, die man dem Schauspieler lassen muss.“ Der Regisseur habe genug zu tun, er müsse ihr nicht sagen, welche Haltung sie einnehmen soll. Das Schwierige beim Schauspieler nämlich sei, „dass er Instrument ist. Und Spieler des Instruments. Und gleichzeitig das Werk.“
Sie ist das Werk. Weil sie, nicht der Regisseur mit dem Film identifiziert wird, redet sie heute mit den Journalisten. „Viele denken, ich bin in jedem Film nur ich.“ Auf den Einwand, dass sie eine Schauspielerin sei, die polarisiert, und andere genau das Gegenteil denken, nämlich dass sie nicht greifbar ist, antwortet sie: „Vielleicht macht mich das ja auch aus: Ich will nicht greifbar sein.“