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Archiv-Artikel

Das Integrationsgesetz: Chance oder Papiertiger?

ÜBERFLÜSSIG Als Grundlage für Integration reichen das Grundgesetz und eine gute Erziehung völlig aus

Badr Mohammed

■  41, kam 1975 aus dem Libanon nach Berlin. Er war Mitglied der Islamkonferenz der Bundesregierung und hat am Integrationskonzept der Berliner CDU mitgewirkt.

VON BADR MOHAMMED

Integration ist die Eingliederung von Zuwanderern in die bestehenden Sozialstrukturen. Dazu gehören die Anerkennung der Gesetze, Kontakte zu Deutschen, Zugehörigkeit zu Parteien oder Vereinen; aber auch Perspektiven, Pläne, ernsthafte Absichten, sich der deutschen Gesellschaft anzuschließen bis zum Eintritt in die Staatsbürgerschaft.

Integration braucht als wechselseitiges Verhältnis aber auch bestimmte Bedingungen und Leistungen seitens der Aufnahmegesellschaft. Der Ruf nach Integration muss auf einen institutionellen Rahmen treffen, innerhalb dessen sie sich vollziehen kann. Teil dessen ist die Verwaltung: Sie muss statt leerer Rhetorik Integrationswege anbieten und eine Atmosphäre, die zur Integration einlädt. Verwaltungen sind in diesem Sinne Integrationslotsen, die bei der Integration durch Lehre, Beratung oder Vermittlung Hilfe leisten.

Erwerbstätigkeit spielt eine entscheidende Rolle: Sie verschafft neben eigenem Einkommen soziale Beziehungen, Anerkennung und Selbstwertgefühl. Aufseiten der Zuwanderer setzt Integration den Erwerb bestimmter Kenntnisse und Fähigkeiten sowie Motivation voraus. Zentral ist das Erlernen der Sprache. Das allein ist aber nicht genug. Dazu gehören Kenntnisse über Kultur und Geschichte des Aufnahmelandes, über Umgangsformen, Institutionen und Organisationsstrukturen, politische Werte und Verfassung.

Gefordert sind von den Zugezogenen also ein mühsamer und aufwendiger Lernprozess und die Bereitschaft zur Veränderung, die die gesamte Gefühlswelt der Person berührt. Geistlichen und Vorständen von Religionsgemeinschaften oder Familien kommt dabei besondere Verantwortung zu. Dies gilt auch für Eltern. Denn da diese Lernprozesse Zeit brauchen, gilt, dass Integration umso erfolgreicher ist, je früher im Leben sie beginnt. Sie ist zudem umso aussichtsreicher, je höher der mitgebrachte Bildungsstand ist.

Eine Rolle spielt auch die kulturelle Distanz zwischen der Kultur des Aufnahme- und der des Herkunftslandes. Kulturelle Nähe erleichtert Integration. Kulturelle Distanz macht sie zwar nicht unmöglich, aber für Migranten und Aufnahmegesellschaft schwieriger. Grundsätzlich gilt: Integriert werden kann nur, wer das Grundgesetz akzeptiert. Darin ist im Grunde schon alles enthalten, was wir für die Integration brauchen. Wir brauchen kein besonderes Integrationsgesetz, um vernünftig miteinander umzugehen. Meine Mutter hat es auch ohne dieses Gesetz geschafft, zehn Kinder in Berlin einzugliedern und zu vernünftigen Mitbürgern zu machen. Das erforderte kein Gesetz, sondern gute Erziehung, die in vielen Familien – einheimischen und zugezogenen – heute leider verloren gegangen ist.

HILFREICH Mit dem Gesetz werden erste Schritte in Richtung Gleichberechtigung möglich

VON CZARINA WILPERT

Der politische und öffentliche Diskurs wird heute über „Integration“ geführt wie in der 90er-Jahren über das Recht auf Staatsbürgerschaft. Es geht dabei vor allem um die „Bringschuld“ der EinwanderInnen, die ihre „Einbürgerungsfähigkeit“ beweisen oder ihre „Integrationsfähigkeit“ verbessern sollen.

Dabei werden klassische Konzepte von aktiver Bürgerschaft und Integration außer Acht gelassen. Im dominanten öffentlichen Diskurs werden MigrantInnen als Kollektive wahrgenommen, die wegen ihrer sozialen und kulturellen Herkunft nicht „integrationsfähig“ sind. Das beinhaltet Abwertung: Kinder mit Migrationshintergrund werden als Teil ihrer Herkunftsgruppe als türkisch, arabisch oder Muslim, aber nicht als „Ich“ betrachtet und gleichwertig geschätzt.

Czarina Wilpert

■  geboren in Los Angeles, ist mexikanisch-amerikanischer Herkunft. Sie ist Soziologin am Zentrum Technik und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin. Czarina Wilpert bekam 2006 den Berliner Frauenpreis für Integration und Selbstständigkeit, unter anderem als Gründungs- und Vorstandsmitglied „Initiative Selbständiger Immigrantinnen e. V.“.

Kultur wird so zur Ursache für das fehlende Recht auf Zugehörigkeit. Diese Betrachtungsweise verstärkt die Polarisierung der Gesellschaft in „Wir“ und „die Anderen“.

Als Einwanderin bringt mich das um die Chance, mich als erwünschtes Mitglied und gleichberechtigte Bürgerin der Gesellschaft zu verstehen. Das beeinflusst das Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung von Chancengleichheit in der Gesellschaft – ob bei Mexikanern in der USA oder Muslimen in Deutschland.

Wichtig sind aber auch die institutionellen Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern, die auch die sozialen Prozesse beeinflussen. In der klassischen Migrationssoziologie wird „Integration“ an der Offenheit gesellschaftlicher Institutionen für EinwanderInnen gemessen. Diese Definition ist im öffentlichen Diskurs in Deutschland nicht wiederzufinden. Als in den USA geborene Mexikanerin habe ich gelernt, dass ich ein Recht auf Teilhabe an der Gesellschaft habe. Dieses (Selbst-)Bewusstsein der Einwanderer hat auch die soziale Bewegung in den USA ermöglicht und zum Schluss zum aktuellen „Diversity-Ansatz“ gefördert.

Das Partizipations- und Integrationsgesetz ist die Chance, auch in Berlin die dafür notwendigen Signale zu setzen, also den öffentlichen Diskurs zu verändern und zu zeigen, dass alle unabhängig von ihrer Herkunft und Religion ein Recht auf Zugehörigkeit haben. Partizipation heißt aktive Bürgerschaft und Gleichberechtigung. Erste Schritte dazu werden durch das vorgeschlagene Gesetz möglich. Partizipation und Integration bedeutet, dass auch Berliner Institutionen künftig daran gemessen werden müssen, wie sehr sie die gesellschaftliche Zusammensetzung gleichberechtigt widerspiegeln.

FANTASIELOS Die Forderung nach Integration zementiert die Machtverhältnisse

VON KIEN NGHI HA UND MARYAM STIBENZ

Das Berliner Integrationsgesetz scheitert fantasielos an der Aufgabe, ein zukunftsfähiges Entwicklungsziel für die interkulturelle Stadtgesellschaft zu formulieren. Es ist stattdessen vor allem eine Übung in gut gemeinter Symbolpolitik – was nicht notwendigerweise schädlich wäre.

M. Stibenz, K. Nghi Ha

 Maryam Stibenz, 36, ist seit 2009 Integrationsbeauftragte des Bezirks Mitte. Die studierte Physikerin ist iranischer Herkunft.

 Kien Nghi Ha, 1972 in Vietnam geboren, ist Migrationsforscher. Sein Buch „Unrein und vermischt. Postkoloniale Grenzgänge durch die Kulturgeschichte der Hybridität und der kolonialen ‚Rassen-bastarde‘ “ erschien 2010.

Die Tragik aber besteht darin, dass es zu einer Zeit kommt, in der die jahrzehntelange Ausgrenzung und Entrechtung durch strukturellen Rassismus und deutsche Ausländerpolitik eine mutigere Antwort erfordert hätte. Sich einer solchen Antwort zu verweigern, bedeutet, die damit verbundenen gesellschaftlichen Konflikte und Herausforderungen zu bagatellisieren.

Auf der praktischen Ebene besteht der größte Fehler des Gesetzes darin, dass es so tut, als könnten kosmetische Umformulierungen bestehender Gesetze und rechtlich unverbindliche Absichtserklärungen für gesellschaftliche Chancengleichheit und Partizipation sorgen. Selbst das zentrale Instrument des Vorhabens ist nicht mehr als ein Papiertiger: Tatsächlich werden weder die Verwaltung noch öffentliche Institutionen in ihrer Personalpolitik sowie inhaltlich zu einer konzeptionell klar dargelegten interkulturellen Öffnung verpflichtet.

Auf gesellschaftspolitischer Ebene hält das Gesetz am ideologisch überkommenen Integrationsbegriff fest. Damit reproduziert es die dominante deutsche Perspektive im Umgang mit MigrantInnen und Migration. Die Forderung nach Integration verweigert sich der kulturellen Neuaushandlung und dem gesellschaftlichen Umbau in der Einwanderungsgesellschaft. Stattdessen privilegiert sie die bestehenden Machtverhältnisse mit ihren kulturellen Zugehörigkeitsmustern, die als unverhandelbarer Kern der Gesellschaft zementiert werden. So wird eine soziokulturelle Polarität konstruiert, bei der MigrantInnen sich letztlich der „deutschen Leitkultur“ unterordnen sollen.

Auf diese Weise ist weder eine Politik der Gleichberechtigung und Antidiskriminierung noch die postmigrantische Repräsentation neuer Deutscher möglich.

Wie konservativ das Integrationsgesetz in dieser Frage agiert, zeigt sich daran, dass es konzeptionell nicht über die rechtliche Absicherung des Systems der Integrationsbeauftragten hinauskommt.

Doch die Aufgabe, ein Zusammenleben ohne Diskriminierungen zu organisieren, kann nicht allein den Integrationsbeauftragten zukommen. Denn das hieße, die größte gesellschaftliche Herausforderung dem kleinsten Amt zu überlassen.