: 24 Monate Atempause
Bleiberecht statt Duldung: Die Koalition ist sich einig, langjährig hier lebenden Ausländern eine Perspektive zu geben
VON PASCAL BEUCKER, FELIX LEE UND ANNA LEHMANN
Mit 28 Jahren der erste Job. Ferid Aslani ist hochzufrieden. „Ich muss jetzt für mich selber sorgen, wird auch Zeit.“ Aslani ist aus dem ehemaligen Jugoslawien. Seit 16 Jahren lebt er mit seiner Familie als Flüchtling in Deutschland. Staatenlos, ohne Papiere, geduldet für sechs Monate, mehr nicht. Keine Garantien, keine Arbeitserlaubnis. Bis 1. November. Seitdem arbeitet Ferid im Fünf-Sterne-Hotel Waldhaus in der Küche. Und seit gestern hat hat die Familie auch eine Aufenthaltserlaubnis. Sie gilt zunächst bis April. „Ich muss die Ausländerbehörde mal loben“, sagt Ferid.
Wie ihm könnte es bald vielen Ausländern in Deutschland gehen. Nach langem Streit haben Spitzenpolitiker der Regierungskoalition sich gestern auf ein Bleiberecht für langjährig geduldete Ausländer geeinigt. Die endgültige Einigung werde für die kommende Woche angestrebt, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), geht davon aus, dass mehr als 100.000 Personen von dieser neuen Regelung betroffen sind.
Grundvoraussetzung für die Gewährung des Bleiberechts soll die Dauer des bisherigen Aufenthalts in Deutschland werden. Nach der Stichtagsregelung müssen Familien mit Kindern seit mindestens sechs Jahren in Deutschland gelebt haben. Bei Alleinstehenden sind es acht Jahre. Zudem müssen die Betroffenen nachweislich in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Dafür solle der Zugang zum Arbeitsmarkt sichergestellt werden. Wenn sie innerhalb von zwei Jahren eine Arbeit finden und ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, soll ihre Aufenthaltserlaubnis um weitere zwei Jahre verlängert werden. Misslingt es, fallen sie in den Zustand der Duldung zurück. Ihre Abschiebung ist dann nur vorübergehend ausgesetzt. Auch langjährig in Deutschland lebende Ausländer, die nicht arbeiten, sollen Anspruch auf ein Bleiberecht bekommen. Diese müssten sich jedoch aktiv um eine Arbeit bemühen.
Seit Jahren mahnen Kirchen, Sozialverbände und Flüchtlingsinitiativen, dass eine Bleiberechtsregelung in Deutschland notwendig sei. Die zu diesem Zeitpunkt überraschende Einigung wurde bei einem Treffen erzielt, an dem neben Bosbach auch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) teilnahmen. Bosbach verwies darauf, dass die große Koalition ein Gesamtpaket anstrebe, das neben dem Bleiberecht die Bereiche Zuwanderung, Integration und Gefahrenabwehr umfasse. Dabei werde auch festgelegt, dass das Sicherheitsinteresse Deutschlands im Zweifel Vorrang vor den Bleiberechtsinteressen der Betroffenen habe. Das Gesamtpaket soll in der kommenden Woche geschnürt werden.
Erfreut, zugleich aber auch überrascht zeigten sich die Flüchtlingsinitiativen. „Wir begrüßen die Entscheidung, ein Bleiberecht gesetzlich zu regeln“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. „Das Parlament ist der richtige Ort, um eine zukunftsfähige Lösung für die langjährig Geduldeten zu schaffen.“ Ursprünglich hatten die Initiativen erwartet, dass auf der am Donnerstag beginnenden Innenministerkonferenz (IMK) eine Einigung über ein Bleiberecht erzielt wird. Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat hingegen befürchtet, dass sich das Gesetzgebungsverfahren auf weitere sechs Monate erstrecken könnte. Würden sich die Innenminister auf eine Bleiberegelung einigen, könnte sie per Erlass ab Montag bereits gelten. Für den Übergang bis zur gesetzlichen Regelung fordert Classen einen sofortigen Abschiebestopp.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) begrüßte den in Berlin gefundenen schwarz-roten Kompromiss. Mit der Einigung zwischen Schäuble und Müntefering sei „eine hohe Hürde für die Bleiberechtsregelung aus dem Weg geräumt“, sagte Wolf gestern in Düsseldorf. Auch Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) zeigte sich erfreut. „Ich erwarte nun ein zügiges Gesetzgebungsverfahren, damit das vom Land Berlin schon seit langem geforderte Bleiberecht zum Anfang des Jahres 2007 in Kraft treten kann.“ Neben Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein gilt in Berlin bereits seit dem Sommer ein Abschiebestopp.
Die Hamburger Ausländerbehörde gibt Ferid Aslani bis April Zeit, sich gültige Papier zu beschaffen. Sonst verfällt die Aufenthaltserlaubnis. Er macht sich jetzt schon Sorgen, dass er das nicht schaffen könnte. „Auf Duldung und so hab ich echt keinen Bock mehr.“