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Archiv-Artikel

Mit Feingefühl gegen den Krebs

Blinde Frauen ertasten Brustkrebs besser als sehende Experten. Das soll nun für die Früherkennung von Geschwüren genutzt werden. Das Berufsförderungswerk Düren will bald die ersten Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) ausbilden

VON LUTZ DEBUS

Die Idee hat Frank Hoffmann sofort überzeugt. Im Fernsehen hatte der Krefelder Gynäkologe einen Bericht gesehen über ein Projekt, das die Frauenärztin Maria Hengstberger in Wien bereits vor zwanzig Jahren entwickelt hat. Dort führen blinde Frauen Brustkrebsuntersuchungen durch. Dank ihres ausgeprägteren Tastsinns kann manch blinde Frau ein Krebsgeschwür in der Brust annähernd so genau und früh diagnostizieren wie die Mammographie.

Frank Hoffmann war begeistert. Sofort war ihm klar: Diese Art der Untersuchung muss auch im Rheinland etabliert werden. „Discovering Hands“ heißt sein Projekt, zur Zeit werden drei blinde Frauen gesucht, die an einem Pilotkurs ab Februar nächsten Jahres teilnehmen wollen. Dieser findet im Berufsförderungswerk in Düren statt und wird wissenschaftlich von der Frauenklinik der Uni Essen begleitet. Ab Mitte nächsten Jahres, wenn die Erfahrungen des Vorlaufes in das Unterrichtsprogramm eingearbeitet sind, soll ein Vollkurs angeboten werden. „Am Ende der zweijährigen Projektlaufzeit sollen die Grundlagen für den neuen Beruf der Medizinischen Tastuntersucherin (MTU) geschaffen sein“, erläutert Martina Hoffmann-Badache, Sozialdezernentin beim Landschaftsverband Rheinland (LVR). Der LVR fördert das Vorhaben mit 200.000 Euro.

Bislang werden Frauen, die eine Brustkrebsvorsorge durchführen lassen wollen, von ihren behandelnden Gynäkologen untersucht. Das etwa 20-minütige Abtasten der Brust ist für viele Patientinnen unangenehm. Und die immer knapperen Zeitvorgaben der Krankenkassen lassen eine intensive Untersuchung oft nicht mehr zu. Die technisch aufwändige Mammographie wird normalerweise nur in begründeten Verdachtsfällen eingesetzt. Außerdem ist diese radiologische Untersuchung nicht ganz ungefährlich. Sie erhöht das Risiko jener Patientinnen, die ohnehin Gefahr laufen, an Brustkrebs zu erkranken. Ist aber ein Knoten erst einmal tastbar, sind die Heilungschancen sehr viel geringer, als wenn die Krankheit in einem früheren Stadium entdeckt wird. „Wenn man die Sterblichkeit senken und die Heilungschancen erhöhen will, kommt es darauf an, Brustkrebs schon im Frühstadium zu erkennen“, sagt der Gynäkologe Frank Hoffmann.

Die Firma MammaCare aus den USA hat deswegen eine spezielle Methode der Selbstdiagnostik entwickelt, damit Frauen möglichst früh Verdachtsfälle entdecken und zum Arzt gehen können. Neben einem Videofilm und einem Buch erhalten interessierte Frauen eine aus Silikon gefertigte Nachbildung einer Brust. Darin versteckt sind – ebenfalls als Nachbildungen – die verschiedenen, auftretenden Tumore. Es stellte sich nach kurzer Zeit heraus, dass blinde Frauen viel kompetenter mit dem Trainingsgerät umgehen konnten als sehende.

In Nordrhein-Westfalen sollen zunächst Frauen geschult werden, die bereits berufliche Vorerfahrungen im Gesundheitssystem haben. Allerdings werden auch besondere Anforderungen an den Tastsinn gestellt. Wer erst spät erblindete, hat oft nicht so ausgeprägte taktile Fähigkeiten wie Menschen, die schon lange oder sogar von Geburt an blind sind. Blinde haben nicht automatisch mehr Nervenzellen in den Fingern, nur die Verarbeitung der Wahrnehmung im Gehirn ist geschulter. Wer dies schon als Kind üben konnte, ist sensibler als derjenige, der noch nicht lange erblindet ist. Insgesamt ist der Tastsinn natürlich überdurchschnittlich ausgeprägt.

Während der Ausbildung in Düren soll aber nicht nur die Untersuchung als solche trainiert werden, sondern auch der Umgang mit den Patientinnen. Jürgen Hüllen vom Berufsförderungswerk Düren ist da zuversichtlich. In Österreich habe sich gezeigt, dass der Kontakt zwischen den untersuchenden Frauen und den Patientinnen sehr vertrauensvoll ist. Lieber werden Frauen von blinden Frauen untersucht als von sehenden Ärzten oder kalten Maschinen. So könnten Hemmungen, sich einer Krebsvorsorge zu unterziehen, abgebaut werden.

„Wenn die Ärztekammer Nordrhein die Medizinische Tastuntersucherin als ärztlichen Hilfsberuf erwartungsgemäß anerkannt hat, werden wir diese Ausbildung in unser reguläres Angebot aufnehmen“, kündigt Reha-Fachmann Jürgen Hüllen an. Eine Chance für blinde Frauen: Blinde sind in NRW doppelt so oft von Arbeitslosigkeit betroffen wie andere Menschen, blinde Frauen wiederum doppelt so oft wie blinde Männer. Jürgen Hüllen hat deswegen eine Vision: Jede gynäkologische Arztpraxis, jede Klinikstation beschäftigt in absehbarer Zeit eine MTU. Dann gebe es endlich eine Tätigkeit für blinde Frauen, bei der diese nicht nur als Behinderte mit aufwändiger staatlicher Förderung geduldet werden, sondern kompetenter sind als Sehende, freut er sich.