: Von Farbschleudern und Wortschleudern
ACHTUNG, PERFORMANCE! Der Stückemarkt beim Theatertreffen wurde reformiert und begann die neue Runde mit einem engmaschigen Text von Chris Thorpe und einer quietschbunten Materialschlacht von Miet Warlop
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Eine Stimme spricht. Es geht um einen Mann in ihrem Büro, mit dem sie eine Vergangenheit und eine Gegenwart teilt. In der Vergangenheit waren sie beteiligt, als ein alter Diktator beseitigt werden konnte. In der Gegenwart ist er der Mann, der die Befehle der Stimme, auf Demonstranten zu schießen, so weitergibt, dass sie sich nicht zurückverfolgen lassen. Sie wünscht sich, sie könnten beide aufhören zu lügen. Aber dennoch ist ihr langer Monolog, von der Schauspielerin Gemma Brockis vom Blatt gelesen und nur sehr sparsam von Emotionen besetzt, durchdrungen von den rhetorischen Figuren der Rechtfertigung.
Attentäters Weltsicht
Sie haben alle immer nur das Notwendige getan, die fünf Figuren, aus denen Chris Thorpe seine höchst spannende Erzählperformance „There has possibly been an incident“ gebaut hat. Drei Schauspieler, darunter der Autor, switchen zwischen Extremsituationen und erzählen in Monologen, einem Verhör und einmal mit dem Blick von außen von politischen Umstürzen, Attentaten, Flugzeugabstürzen, Zivilcourage. Ein Textstrang ist nahe an der Weltsicht des Attentäters Anders Behring Breivik gebaut und seinem vermeintlichen Kampf zur Rettung Europas vor der Islamisierung. Ein zweiter dreht sich um den Tank Man, der sich 1989 in Peking auf dem Platz des Himmlischen Friedens allein mit seinen Einkaufstüten vor die Panzer stellte, die den Aufstand niederschlagen sollten.
Historisch, politisch und moralisch ist bei „There has possibly been an incident“ am Ende zwar eindeutig, auf welcher Seite man stehen will. Die Struktur des Textes aber versucht einen jedes Mal zum Komplizen zu gewinnen und trickst mit den parallelen Mustern in der Konstruktion des Richtigen und des Falschen. Die Gewalt und die Angst, die in jedem der schnell wechselnden Textstränge aufgerufen werden, fordern die Zuhörer zu intensiver Aufmerksamkeit, um ja nichts zu verpassen. Wie ein Katastrophenjunkie hängt man den Schauspielern an den Lippen.
Chris Thorpe, der als Autor und Performer in Manchester arbeitet, war von dem britischen Dramatiker Simon Stephens für den Stückemarkt nominiert. Stephens wiederum, mit seinen Dramen mehrfach zum Theatertreffen eingeladen, ist einer der drei Paten, die einen Künstler für den Stückemarkt vorschlagen konnten. Abgeschafft wurde damit das alte Modell einer Jury, die sich durch eingereichte Texte las – zuletzt oft über 600 Manuskripte –, um fünf davon für eine szenische Lesung vorzuschlagen. Einerseits war das durch die Masse der Einreichungen immer schwerer zu bewältigen, andererseits war durch eine Vielzahl ähnlicher Wettbewerbe dieses Fördermodell für neue Dramatik auch in Verruf geraten, zumal auch mit einem Preis ausgezeichnete Autoren oft nicht viel davon hatten.
Das neue Modell ist allerdings eher wie eine Akademie strukturiert: Drei von Yvonne Büdenhölzer, der Leiterin des Theatertreffens, und Verena Harzer, Leiterin des Stückemarkts, ernannte Künstler schlagen etwas vor, was ihnen wichtig für den erweiterten Theaterbegriff scheint. Kritik, nicht zuletzt von enttäuschten Dramatikern, ließ nicht lange auf sich warten. Zumal der tradierte Titel „Stückemarkt“ beibehalten wurde.
Der Stückemarkt zeichnete sich oft durch das Improvisationstalent der Schauspieler aus, die nach kurzer Probe die neuen Texte lasen. Thorpes Performance erinnerte daran, zufällig, hatte er doch für seine Inszenierung, die im August 2013 in Edinburgh herauskam, ein strenges Setting wie für eine spartanische Lesung gewählt, sich also bewusst für eine textkonzentrierte Arbeitsatmosphäre als Form entschieden. Dass Simon Stephens von ihm begeistert ist, erstaunt im Übrigen nicht; liebt doch auch er es, die Gewalt ganz dicht unter einer Fassade von Alltäglichkeit anzusiedeln und das Unvorhersehbare jeden Moment für möglich zu halten.
Nicht minder gruselig, aber doch von ganz anderer Machart war die Performance „Mystery Magnet“ der belgischen Künstlerin Miet Warlop, von der Regisseurin Katie Mitchell vorgeschlagen. Im Grunde eine Art 60-minütiges Action-Painting: Die Performer traten als lebende Pinsel und Farbschleudern auf, malten mit riesigen Wollperücken auf dem Kopf, lösten schaumige Farbkanonaden aus, warfen mit bunten Dartpfeilen. Das alles als Slapstick vorgetragen, der zunehmend ins Bedrohliche umschlug. Kein Wunder, dass auch schon mal eine Figur in gekreuzigter Haltung an die Wand getackert wurde.
Einerseits könnte man das Timing bewundern, mit dem hier Farbergüsse und Formzertrümmerer – Achtung, Bohrmaschine – gegeneinander antraten und trotz aller Abstraktion die Erwartung an die Erregungskurven eines Dramas bedienten. Noch ein erfüllter Traum vom Gesamtkunstwerk. Andererseits aber blieb dieses Gruseln um des Gruselns willen doch auch ein bisschen dünn auf die Dauer. Wenn schon kein Text, etwas mehr Kontext hätte in diesem Szenario der Zerstörung nicht geschadet.