piwik no script img

Archiv-Artikel

Punkrock aus altersweiser Faulheit

Fröhlicher Pessimismus und Punkrock als Arbeitsethos: Heute Abend stellen die Schweizer Soul-Ska-Samba-Folk-Rocker „Die Aeronauten“ ihr siebtes Album „Hier: Die Aeronauten“ im Molotow vor

Do, 16.11., 21 Uhr, Molotow, Spielbudenplatz 5

„Davaschtahschtkäswotvo“. So in etwa klingt es lautmalerisch, was Olifr Maurmann, genannt Guz, uns allen ersparen will. Die Übersetzung von „davaschtahschtkäswotvo“ ist nur zu erahnen, besagt aber wohl, dass der gemeine Deutsche keine Silbe versteht, wenn Eidgenossen so richtig schwiizerdüütsch reden. Geschweige denn singen. Deshalb tut Guz beides auf Hochdeutsch. „In der Schweiz wird ziemlich viel in Dialekt gesungen“, sagt der Frontmann der Gruppe „Die Aeronauten“, „das interessiert per se außerhalb nicht so recht, weil es einfach niemand versteht.“ Wie überall auf der Welt hockten auch in der Schweiz Tausende von Bands in ihren Übungsräumen, sagt Guz, „aber mir fällt leider nichts Gescheites ein, was hängen bleiben könnte“. Bis auf „Die Aeronauten“ selbst natürlich.

Doch für derlei Eigenlob ist Guz als Teil der weltweit mit Sicherheit sympathischsten Kapelle rockender Heteromänner einfach zu bescheiden, zu nett, fast lieb. Dabei wäre es völlig angebracht, denn die fünf reiferen Herren aus Schaffhausen und Zürich machen seit 15 Jahren eine Art Musik, die auch unterhalb der Berge ihresgleichen sucht. Ein Mix aus Folk, Rock, Soul, Ska, Samba und zahllosen anderen Stilen, der nicht umsonst einst vom Paradelabel der Hamburger Schule „L’Age D’Or“ entdeckt wurde – und jüngst zum sechsten Mal in die Plattenläden gekommen ist.

Auf „Hier“ zeigen „Die Aeronauten“ erneut, was sie zu einer Besonderheit macht: Mit so einer Eleganz wird Gitarrenmusik selten von schmissigen Bläsereinsätzen flankiert, dieser Humor ist in politisch wachsamen Texten selten, solch eine Aura erwachsener Jugendlichkeit umweht ansonsten nur noch Bernd Begemann und Rocko Schamoni.

Indem die Eidgenossen ihre Stücke aber schlicht als Punkrock bezeichnen, verpassen sie dem Genre eine ganz neue Definition. „Früher haben wir noch alles Mögliche ausprobiert“, erklärt Guz die Rückbesinnung auf die musikalischen Wurzeln. Computersamples, Stilwechsel, Konzeptalben – derlei Versuche seien ohne eine Spur kommerziellen Erfolgs nur in Arbeit ausgeartet. Warum also nicht Punkrock als Arbeitsethos definieren, aus altersweiser Faulheit quasi.

Dass daraus 13 so feine, abwechslungsreiche Lieder werden können, spricht für die Spreizbarkeit der Sparte. Für alle anderen Codes der „Exploited“- bis „Ärzte“-Welt stehen „Die Aeronauten“ schon dank ihrer Lebensentwürfe nicht zur Verfügung. „Wir waren nie ein wilder Haufen, sondern eher Vernunft auf Rädern“, spielen sich die ungepiercten Familienväter auf ihrer Homepage runter.

Ihre Lieder verstehen „Die Areonauten“ als Ausdruck eines „fröhlichen Pessimismus“. Sie setzen sich mit dem Provinzialismus der Heimat auseinander, unliebsamen Strömungen von konservativ bis rechtsextrem, medialem Alarmismus oder einfach privaten Katastrophen. Immer selbstironisch, stets intelligent, gern lustig, nie verbiestert.

„Im Punkrock hat sich eine große Witzlosigkeit eingeschlichen“, urteilt Guz über die Szene und schleudert ihr pittoreske Alltagsabrechnungen wie „Hey, Ozonloch!“, zauberhafte Melodramen wie „Sie wollte ein Herz / und ich gab ihr meins / jetzt hat sie zwei / und ich hab keins“, erbarmungslose Großstadtrefrains wie „Da ist immer ein Tunnel /am Ende des Lichts“ oder reflexive Zeilenkunst wie „Was im Radio läuft / erweicht uns das Gehirn /mit der Zeit fängt man an / sich für Countrymusic zu interessieren“ entgegen. Und mit „Freundin“ haben sie uns schon 1995 die schönste Ballade liebeskranker Antifas aller Zeiten geliefert. Am Ende singen „Die Aeronauten“ über „Die Aeronauten“: „Die Idioten sind immer auch wir.“

Diese Innensicht macht sie liebenswert und respektabel. Gepaart mit einer gehörigen Portion Virtuosität, füllen sie damit immerhin größere Clubs bis rauf an die deutschen Küsten, besonders in Hamburg, dem Heimatort ihres Labels „L’Age D’Or“. „Irgendwie hat schon jeder von uns gehört“, sagt Guz. Allein die Plattenverkäufe halten da nicht mit. Typisch Liveband!

Eine der besten übrigens, bei der auch das kämpferischste Riot Grrrl bald vergisst, dass vor ihr Durchschnittsmänner um die 40 stehen, die ohne zu grinsen „Frauen, behaltet eure Finger bei euch“ singen und es auch so meinen. Und wenn sie es wie daheim üblich in Schwiizerdüütsch tun, verstünde man hierzulande eben kein einziges Wort davon. Oder besser: Davaschtahschtkäswortvo.JAN FREITAG