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Archiv-Artikel

KUNST MACHT DAS UNMÖGLICHE MÖGLICH: ALKOHOL IM CENTRAL PARK Typisch europäischer Exzess

Bridge & Tunnel

OPHELIA ABELER

Eine der sonderbarsten Ausstellungen dieses New Yorker Frühlings ist wahrscheinlich die von Dan Graham und Günther Vogt auf dem Dach des Metropolitan Museums. Es gibt dort nichts zu sehen, was man nicht schon kennt – im Gegenteil, es gibt dort oben genau dasselbe zu sehen wie drumherum: Glas und Edelstahl an Grün. Graham hat einen seiner typischen Pavillons dort aufgebaut, Günther Vogt hat Kunstrasen verlegt und Spaliere aus Plastikefeu aufgestellt.

So steht man auf dem künstlich begrünten Dachgarten und schaut durch teilverspiegeltes Glas hindurch auf den ebenfalls grünen Central Park, der gesäumt wird von ein paar der nobelsten Hochhäuser Manhattans. Das Drinnen und das Draußen, der Park und der Dachgarten verschmelzen, wenn man entschlossen genug die Augen zusammenkneift. Als ich sie aber wieder aufmache, erblicke ich Schockierendes: Eine Frau, die barfuß im Gras sitzt und eine Flasche Bier trinkt !

Dazu muss gesagt werden: Alkohol trinken ist in keinem Park New Yorks erlaubt, und hier, mitten in Manhattan, offen aus einer Bierflasche zu trinken, ist schlicht Wahnsinn. Die Frau ist entweder irre und wird gleich von der Security weggezerrt, oder das Ganze muss etwas mit Kunst zu tun haben, denn Trinken in der Öffentlichkeit kommt im echten New Yorker Leben nicht vor, nicht einmal mehr mit brauner Tüte drumherum.

Tatsächlich ist das alles vollkommen legal, das Metropolitan Museum hat auf seinem Dach eine kleine Bar mit Alkohollizenz. Normalerweise kann man sich hier nur nirgends hinsetzen. Dan Grahams und Günther Vogts an sich sonst nicht besonders bemerkenswerte Installation liefert nun die Kulisse für – gemessen an New Yorker Standards – zügelloses, von Amerikanern daher im Zweifel gern als „typically European“ beschriebenes Geschehen.

„Ermöglicht“ wird dies ausgerechnet von Bloomberg, dem Medienkonzern des ehemaligen Bürgermeisters Michael Bloomberg, der als einer der erbittertsten Kämpfer gegen alles Ungesunde wie Rauchen, Trinken, Fett und Zucker bekannt ist. Bloomberg sponsert die Ausstellung, in der wesentlich mehr Freiheit herrscht, als der Bürgermeister in dem öffentlichen Park, der an das Museum grenzt, einst erlauben wollte.

Der New Yorker füllt sich, wenn er sich traut, fürs Picknick im Central Park seine Drinks in eine Thermoskanne, in Limonadenflaschen oder in Starbucks-Becher. Wenn die Marke des Getränks nicht mehr nachzuweisen ist, ist die Polizei nämlich gezwungen, einen Labortest zu machen, um den Alkoholgehalt des Getränks zu bestimmen. Die meisten Polizisten meinen aber, ihrer Nase ausreichend vertrauen zu können und verteilen die 25-Dollar-Tickets großzügig auch so. Und wer will sich schon gern mit einem Cop vor Gericht streiten?

Das geht so weit, dass der eigene Vorgarten zur juristischen Grauzone werden kann, wenn eine Streife zufällig beim Feierabendbier vorbeifährt und gerade nichts Besseres zu tun hat. Ein Jurastudent aus Brooklyn kämpft zurzeit vor Gericht darum, dass sein Vorgarten als privater, nicht öffentlicher Raum bewertet wird. Weil er aber am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, mit Freunden dort gesessen und Bier getrunken hatte, meinte ein Polizist, aufgrund des erhöhten Menschenaufkommens auf der Straße an diesem Feiertag habe es sich um „Trinken in der Öffentlichkeit“ gehandelt, und verpasste ihm und seinen Freunden einen Strafzettel. Das Urteil steht noch aus.

Die Bilder, die die Leute auf dem Dach des Metropolitan nun voneinander machen und rasend schnell auf Instagram und Facebook verbreiten, könnten suggerieren, Trinken im Central Park sei wieder erlaubt – so wie zu den Zeiten von Lou Reed, für den das Trinken von Sangria im Park bekanntlich noch zu den Ingredienzien eines perfekten Tags in New York gehörte. Angesichts dieser typisch europäischen Bilder dürfte sich Michael Bloomberg jetzt auch irgendeine Art von Zeitmaschine wünschen: Als Mäzen konnte er die Ausstellung nur finanzieren, wäre er wieder Bürgermeister, könnte er ihr wahrscheinlich die Alkohollizenz entziehen.

■  Ophelia Abeler ist Kulturkorrespondentin der taz in New York