off-kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Einhundert Jahre alt wäre Louise Brooks dieser Tage geworden, weshalb das Arsenal-Kino der amerikanischen Schauspielerin, die mit ihrer Natürlichkeit und ihrem „Unterspielen“ auch heute noch überaus modern wirkt, an zwei Abenden eine kleine Hommage widmet. G. W. Pabsts „Die Büchse der Pandora“ (1928) ist der berühmteste ihrer Stummfilme: Als Lulu, die noch in der Hochzeitsnacht Witwe und des Mordes verdächtigt wird, die nach London flieht und alle Männer (und eine Frau) ins Verderben stürzt, ehe sie Jack the Ripper unters Messer gerät, verkörpert Louise Brooks mit fröhlicher Selbstverständlichkeit die ultimative Gier nach Leben und Sexualität. Populär war Brooks gegen Ende der 1920er-Jahre übrigens nicht: In Hollywood galt die kluge junge Frau als Rebell, in Deutschland galt sie vielen Kritikern angesichts ihres Verzichts auf theatralische Gestik als untalentiert. An jene Tage erinnert sich Louise Brooks in Richard Leacocks „Lulu in Berlin“ (1984), einem dokumentarischen Porträt, in dessen Zentrum ein ausführliches Interview steht, das die Schauspielerin kurz vor ihrem Tod gab.
Mit einer originellen Grundidee wartet John Lasseters Computeranimationsfilm „Cars“ auf: Hier wurde erstmals in einer abendfüllenden CGI-Produktion eine komplette Dingwelt im eigentlichen Wortsinne animiert, also beseelt. In der Geschichte um den mächtig egozentrischen Rennwagen Lighting McQueen, der erst jenseits der Rennpisten und des schnellen Lebens in einem kleinen Ort die Bedeutung von Freundschaft und Liebe erfährt, sind menschliche Physiognomien, Gefühlsregungen und Bedürfnisse auf Autos übertragen: Hinter den Windschutzscheiben sitzen die Augen der Fahrzeuge, der Kühlergrill dient ihnen als Mund, Achsen und Räder wirken als Gliedmaßen. Derart ausgestattet, erleben flotte Flitzer und kaputte Rostmühlen Triumphe und Niederlagen, Liebe und Enttäuschungen; sie jubeln an der Rennstrecke, warten am Klohäuschen und genehmigen sich im Restaurant einen leckeren Sprit. Die Schönheit des Films liegt dabei vor allem in dem ungeheuer liebevollen Blick auf ein längst verloren geglaubtes Stück Americana, das im 50er-Jahre-Design des Städtchens Radiator Springs an der Route 66 fröhliche Urständ feiert. Einladende Tankstellen, bunt schillernde Leuchtreklamen, Weißwandreifen und die ausladenden Formen von Hudson, Cadillac und Co.: Das eigentliche Thema von „Cars“ ist die amerikanische Heimat der Filmemacher.
Um die Themen Gesundheit und Menschenrechte kreisen die Filme des One-World-Festivals, das dieses Jahr zum dritten Mal stattfindet. In „Memory for Max, Ida, Claire and Company“ besucht der für seine schmerzhaft direkten Filme bekannte kanadische Dokumentarist Allan King ein Pflegeheim für Demenzkranke in Toronto: Wie so oft porträtiert King Menschen in schwierigen Situationen und Phasen ihres Lebens und gibt ihnen mit dem genauen Aufzeigen des vermeintlich Entwürdigenden (hier: des Verlusts von Erinnerung und Identität) die Würde zurück.
LARS PENNING