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Archiv-Artikel

Import-ExportKleine Stadt ganz groß

Oldenburgs China-Connection: OB Schwandner putzt Klinken, das Edith-Ruß-Haus denkt über Kopie und Original nachGESCHÄFTE Die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zu China ist nicht nur in Hamburg ein großes Thema. Im Nordwesten Niedersachsens betreibt die Stadt Oldenburg seit Jahren eine eigene China-Politik – doch die ist in der Stadt umstritten

Um so überraschender, dass die beißendste Kritik an Uniformität und Wiederholung ebenfalls aus China kommt

AUS OLDENBURG MAIK NOLTE

Wer die Website „china.oldenburg.de“ aufruft, bemerkt sogleich das Selbstbewusstsein, das bei ihrer Gestaltung Pate stand. Einträchtig stehen da der Oldenburger Schlossplatz und die Verbotene Stadt in Peking beieinander, flankiert von den Umrissen Chinas und Niedersachsens, die entgegen aller Maßstabstreue etwa gleich groß dargestellt sind. Seit 2007 sucht die 160.000-Einwohner-Stadt die Partnerschaft zum Riesenreich – der Erfolg ist bislang allerdings eher als bescheiden zu bezeichnen.

Das forcierte Kuscheln Oldenburgs mit dem Reich der Mitte begann, als die Kommunalwahl des Jahres 2006 den bis dato in der Stadt unbekannten Marketingprofessor und Ex-Grünen Gerd Schwandner ins Amt des Oberbürgermeisters spülte. Schon bald entfaltete der bekennende China-Fan eine rege Aktivität: Oldenburg hat mittlerweile ein China-Büro, eine China-Iniitiative und einen China-Roundtable. In den Kultureinrichtungen laufen zurzeit Ausstellungen und Events unter dem Leitthema „China-Begegnungen“. Da ist es nur konsequent, wenn sich die Stadt auf ihrer Website neben Englisch und Niederländisch auch auf Chinesisch präsentiert.

Die meisten Einwohner Oldenburgs nahmen die aufgesetzte China-Begeisterung eher stirnrunzelnd bis amüsiert zur Kenntnis. Ob Oldenburg denn auch eine eigene Botschaft in Peking eröffnen würde, wurde da gewitzelt. Und die lokale Nordwest Zeitung lästerte, der OB wolle demnächst auch Reisfelder vor der Stadt anlegen.

Die Zeit der Späße scheint indes vorüber zu sein: das Thema ist politischer Zankapfel. Denn das Kernanliegen der China-Aktivitäten ist – wie in Hamburg – das Knüpfen wirtschaftlicher Kontakte, wofür der OB eine umfangreiche Reisediplomatie betreibt. Schließlich, erklärt Schwandner immer wieder, laufe in China alles über die Verwaltung und die Politik – Besuche Oldenburger Delegationen, seit einiger Zeit auch gemeinsam mit der niederländischen Partnerstadt Groningen, nähmen da eine wichtige Türöffnerfunktion für Unternehmen ein.

Diese Tür werde allerdings reichlich oft geöffnet, moniert der Stadtrat angesichts der auflaufenden Reisekosten. Zumal bislang nicht viel Zählbares dabei herausgekommen ist. Dank seiner Bemühungen befinde sich Oldenburg befinde inzwischen „auf der chinesischen Landkarte“, wird Schwandner nicht müde zu betonen – was genau die Stadt davon hat, bleibt indes recht vage, wie der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Stadtrat, Kurt Bernhard, sagt: „Wir sehen nach wie vor keinen Effekt.“

Zwar hat etwa das Technologie- und Gründerzentrum TGO, in Sachen Innovation eine Vorzeigeeinrichtung der „Übermorgenstadt“, wie sich Oldenburg stolz nennt, einen Technologiepark in Xuzhou als Kooperationspartner gewinnen können. Der groß angekündigte Bau einer Ökosiedlung in Huaxi unter Beteiligung von Oldenburger Firmen ist allerdings im Frühjahr spektakulär geplatzt. Was das Verhältnis zwischen dem OB und der gegen ihn stehenden Ratsmehrheit nicht gerade verbessert hat – erst im Sommer wurde wieder hitzig über Sinn und Unsinn der städtischen Chinadiplomatie gestritten.

Was die Menschenrechtslage in China angeht, gibt sich der OB weitaus zugeknöpfter als in wirtschaftlichen Fragen. „Ich muss nicht propagandamäßig und lehrmeisterhaft den Chinesen erzählen, was sie zu machen haben“, sagte Schwandner in einem Interview mit der Nordwest Zeitung und hielt Kritikern entgegen, man könne Gespräche nun einmal „nicht damit beginnen“.

Wann er allerdings „damit“ beginnen wird, bleibt im Dunkeln: Eine kürzlich vom Rat verabschiedete Resolution zur Freilassung des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo mochte der OB nicht mittragen. Die China-Begeisterung hat bisweilen doch ihre Grenzen.

Schneewittchen fürchtet sein Spiegelbild

CHINA-PROJEKTIONEN Die Begegnung mit einem Doppelgänger endet tödlich, meint der Mythos. Die Ausstellung „Culture(s) of Copy“ in Oldenburg zeigt, was Kopien und Originale miteinander durchmachen. Im Zentrum: die chinesische Kunst

Schneewittchen muss draußen bleiben. Da hat sich die finnische Videokünstlerin Pilvi Takala in ein perfektes Disney-Schneewittchen verwandelt, mit metallisch schwarz glänzender Perücke und einem Kleid wie Bonbonpapier. Die Kinder, die vor den Eingängen des Pariser Disneyland Schlange stehen, sind begeistert. Sie lassen sich mit ihr fotografieren und wollen Autogramme. Doch die Security kennt kein Pardon: Verkleidete Erwachsene kommen hier nicht rein. So humorlos reagierte zuletzt die böse Königin auf ihr Spiegelbild. Das Disney-Schneewittchen erweist sich als würdige Stieftochter und duldet nicht nur keine konkurrierende Schönheit, sondern nicht einmal eine Kopie neben sich.

Die Begegnung mit einem Doppelgänger, weiß der Mythos, kündigt einen nahen Tod an. Für die böse Königin („Spieglein, Spieglein…“) traf das sogar zu. Auch Kulturwissenschaftler_innen des 20. Jahrhunderts waren überzeugt davon, dass das Prinzip „Kopie“ vom kalten Hauch des Todes umweht ist. Die Vervielfachung sei eine – mal mehr, mal weniger erfolgreiche – Strategie gegen die Vergänglichkeit. Kopieren, meint der US-Kulturhistoriker Hillel Schwartz, sei ein „eschatologisches Programm“. Sein umfassendes Werk „The Culture of the Copy“ von 1996 könnte der Ausstellung im Oldenburger Edith-Ruß-Haus für Medienkunst den Titel geliehen haben, er lautet: „Culture(s) of Copy“.

Im Mittelpunkt der Schau stehen chinesische Künstler und damit eine Tradition, die offensichtlich Sympathien für das Kopieren hat. Dabei sollte man allerdings weniger an Markenpiraterie und den florierenden Handel mit Raubkopien denken als vielmehr an eine Haltung des Respekts vor dem Hergebrachten. Qiu Anxiong, Schöpfer des poetischen Öko-Animationsfilms „New Book of Mountains and Seas“, umschreibt diese Haltung so: „Die Weisheit und die Inspiration der Tradition werden zu einer Quelle, um Neues zu schaffen.“

Um so überraschender daher, dass die beißendste Kritik an Uniformität und Wiederholung ebenfalls aus China kommt. Zhang Peili ist ein Altmeister der chinesischen Videokunst, wie der Begleittext zu seiner Video-Collage „Last Words“ von 2003 informiert. Er hat die Sterbeszenen diverser Helden aus Propagandafilmen der 1950er und 60er Jahre zusammen geschnitten. Mit verblüffender Munterkeit hinterlassen sie der Nachwelt ihre Botschaft, bevor ihr Kopf mit der immer gleichen, unvermittelten Bewegung zur Seite rollt.

Hillel Schwartz lehrt den westlichen Betrachter, hier nicht die Nase rümpfen: Auch unsere Kultur, meint er, sei von Anfang an eine Kultur der Kopie gewesen. Erst spät in der Geschichte der Kopiergesellschaft tauche die verzweifelte Sehnsucht nach Originalität auf. Cornelia Sollfrank parodiert diese Sehnsucht mit ihrem Projekt „Another Originality“. Nach dem Motto „Get the work for free. Buy the signature“ stellt sie im Internet eine Software zur Verfügung, mit der sich jeder aus dem endlosen Bildervorrat des Netzes sein eigenes Kunstwerk erschaffen kann. Zur Wertschöpfung für den Käufer bietet sie dazu einen fälschungssicheren Chip an, der das Werk als „Original“ ausweist.

Gnädig erspart einem die Ausstellung theoretische Texte, von den eulenspiegelhaften Ausführungen Cornelia Sollfranks zur Funktionsweise ihres Chips einmal abgesehen. Andererseits wird es dadurch nicht einfacher, im Panoptikum der Kopien mit und ohne Original den roten Faden zu finden. Hillel Schwartz‘ befreiende Botschaft, dass ohnehin geselliger lebt, wer sich von der rastlosen Suche nach Originalität befreien kann, muss man sich also schon selbst erschließen. ANNEDORE BEELTE

Bis 20. 2. im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst, Oldenburg. Die Ausstellung läuft in Oldenburger Reihe „China-Begegnungen“