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Archiv-Artikel

„Die Islamophobie hat nicht zugenommen“

Der Kampf gegen den weltweiten Terrorismus beginnt damit, in der Nachbarschaft für mehr Vertrauen zu werben, sagt Londons Polizeichef Ian Blair. Nichtsdestotrotz will er Mittel und Machtbefugnisse für die Polizisten in England

taz: Sir Blair, Sie möchten, dass mit dem Begriff „Krieg gegen den Terror“ differenzierter umgegangen wird. Warum?

Ian Blair: Der Krieg ist real. Wir kämpfen ihn im Irak und in Afghanistan. Die inflationäre Verwendung des Begriffs „War on Terror“ im Zusammenhang mit der Bedrohung terroristischer Anschläge erscheint mir jedoch als wenig hilfreich. Zum einen, weil der Begriff Mördern erlaubt, zu behaupten, sie seien Soldaten, wenn sie U-Bahnen in die Luft jagen. Und zum anderen, weil der Begriff eine entfremdende Wirkung auf ohnehin unter extremer Anspannung stehende Bevölkerungsgruppen ausübt, besonders auf Muslime. Wir sollten auf diese besondere Wortwahl verzichten und Terrorismus als das bezeichnen, was es ist: ein Verbrechen.

Sie glauben also, die von US-Präsident Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeführte und kurz darauf von Premierminister Blair übernommene Rhetorik war kontraproduktiv?

Nein, das heißt es nicht. Der Begriff ist nur dann kontraproduktiv, wenn er in einem Zusammenhang verwendet wird, in dem er nichts zu suchen hat. Noch einmal: Der wirkliche Krieg findet in Irak und Afghanistan statt, nicht in unseren Städten.

Sie glauben, dass westliche Demokratien auch den „Krieg der Ideen“ gewinnen müssen, um die Gefahr terroristischer Anschläge einzudämmen. Wie soll das aussehen?

Umfragen zeigen, dass eine große Anzahl britischer Muslime glaubt, dass ihr Leben seit den Ereignissen des 11. September 2001 schwieriger geworden sei. Als Gründe führen sie unter anderem eine zunehmende Islamophobie innerhalb der britischen Gesellschaft an, obwohl es für diese so gut wie keine Hinweise gibt. Außerdem glauben zwei bis sechs Prozent britischer Muslime, dass die Anschläge des 7. 7. 2005 in London gerechtfertigt gewesen seien. Daraus folgt, dass wir die Werte liberaler Demokratien wie Toleranz, Respekt, Inklusivität und Gerechtigkeit besser vermitteln, die Gemeinsamkeiten zwischen dem Wertemuster des Islams und dem anderer Weltreligionen deutlicher kommunizieren und die Verfechter des Dschihads als das entlarven müssen, was sie sind: eine Minderheit, die eine verzerrte Auslegung des Islams vertritt.

Daraus lässt sich ableiten, dass die umstrittenen Strafverfolgungsmaßnahmen der letzten Jahre auch aus Ihrer Perspektive erheblichen Schaden verursacht haben. Schließlich haben sie maßgeblich zur Entfremdung und Isolation besonders junger Muslime in Großbritannien beigetragen.

Die gegenwärtige Bedrohung stellt uns vor Herausforderungen, die sich von denen der Vergangenheit, etwa der Auseinandersetzung mit der IRA, unterscheidet und gewisse Maßnahmen sowie Machtbefugnisse erfordert. Andererseits sind wir auf das Vertrauen aller Teile der Bevölkerung angewiesen und wissen, dass Terroristen wollen, dass der Staat als unterdrückend wahrgenommen wird, um auf diesem Weg Unterstützung für ihr Anliegen zu gewinnen. Eine Balance zu finden, ist schwierig, aber ich finde, dass wir das Richtige tun.

Sie weisen gern auf die Gemeinsamkeiten zwischen Terrorismus und anderen Formen organisierter Kriminalität hin, betonen aber auch, dass rechtliche Reformen nötig sind, um die Terrorgefahr zu reduzieren. Wie passt das zusammen?

Ich bin der Auffassung, dass Veränderungen nötig sind, und habe unter anderem vorgeschlagen, abgehörte Telefongespräche als Beweis vor Gericht zuzulassen, über eine Verlängerung der in Großbritannien auf 28 Tage beschränkten Untersuchungshaft nachzudenken und eine Überarbeitung des Demonstrationsrechts zu überprüfen. Diese Vorschläge bestimmen jetzt die Schlagzeilen. Ungleich wichtiger sind jedoch die traditionellen Werte polizeilicher Arbeit, die für alle Formen der Kriminalitätsbekämpfung gelten: Fairness, hohe Qualität und demokratische Verlässlichkeit.

Wie steht es mit der Bürgernähe?

Die Zusammenarbeit mit Nachbarschaften und ihren Bewohnern ist ein entscheidendes Element unserer Anstrengungen, London sicherer zu machen. Zehn Prozent unserer Polizisten sind derzeit im Rahmen des neuen Programms „Safer Neighbourhoods“ zu Fuß oder per Fahrrad in Londons Stadtvierteln unterwegs. Nachdem wir mit diesem Ansatz gute Erfahrungen im Kampf gegen Drogengangs gesammelt haben, werden wir nun versuchen, auf diesem Weg auch die Gefahr fundamental-islamistisch motivierter Anschläge zu reduzieren. Ziel wird zunächst sein, Ansprechpartner in muslimisch geprägten Vierteln zu finden.

Die London Metropolitan Police setzt also auf eine Bekämpfung eines globalen Phänomens auf lokaler Ebene?

Das stimmt. Für mich hängt nationale Sicherheit entscheidend von der Sicherheit in unseren Wohngegenden ab.

INTERVIEW: JOHANNES NOVY