: Der Held der Stadt
HYPE Bowie nahm in Berlin drei wegweisende Platten auf. Und er sagte der Welt: Diese Stadt ist cool – die Grundlage ihres Rufs bis heute
■ Let’s Dance: Am Dienstag ist es so weit. Dann öffnen sich im Martin-Gropius-Bau die Türen zu der David-Bowie-Ausstellung, die auch schlicht so heißt: „David Bowie“ – was sich angesichts des gern rollenspielenden Musikers fast schon zu geradlinig liest.
■ Heroes: Der 1947 geborene Musiker, bürgerlich David Robert Jones, gilt als einer der einflussreichsten Popkünstler der jüngeren Musikgeschichte. Bis zum 10. August hat jeder in der multimedialen Schau mit 300 Objekten – Originalkostüme, Fotos, Videos und sonstige denkwürdige Schaustücke – die Möglichkeit, sich seinen Lieblings-Bowie herauszupicken: sei es Ziggy Stardust, den Thin White Duke oder den mit Geschlechterrollen spielenden Künstler. Überhaupt macht Bowie auch in Berlin die Türen für andere noch einmal etwas weiter auf: Während der Laufzeit der Schau sind im Gropius-Bau alle Ausstellungen täglich von 10 bis 20 Uhr geöffnet. Der dienstägliche Schließtag des Hauses ist in der Zeit ausgesetzt.
■ Station to Station: Erstmals war die Schau vergangenes Jahr im Londoner Victoria-and-Albert-Museum zu sehen. Für den Gropius-Bau wurde sie um eine Zugabe erweitert, mit rund 60 Exponaten mit Bezug zu den Berliner Jahren David Bowies – der Sänger lebte von 1976 bis 1978 in der Mauerstadt. Gezeigt werden etwa Briefe aus der Korrespondenz zwischen Bowie und Marlene Dietrich aus dem Jahr 1978, als beide für den Film „Schöner Gigolo, armer Gigolo“ vor der Kamera standen. Eine Besprechung der Ausstellung steht auf www.taz.de/.
■ The Man Who Sold The World: Eintritt kostet 14/10 Euro. Online gibt es Tickets unter www.davidbowie-berlin.de. (tm)
VON THOMAS WINKLER
Der große alte Mann feierte seinen Ehrentag, indem er Geschenke verteilte. Das gute alte Berlin bekam ein Lied – und freute sich wie blöde. Vor allem der Tagesspiegel fühlte sich gebauchpinselt: „Bowie ist wieder da – und singt über Berlin.“ Der Kurier war aus dem Häuschen: „David Bowie besingt Berlin!“, titelte das Boulevardblatt, die Konkurrenz von der B.Z. diagnostizierte akute „Berlin-Melancholie“ bei der Rocklegende.
Der Anlass: „Where Are We Now?“, Bowies Comeback-Single. Völlig überraschend erschienen nach nahezu zehnjähriger Sendepause am 8. Januar 2013, seinem 66. Geburtstag, und voll mit liebevollen Erinnerungen an seine Zeit in Westberlin. Dass im Videoclip zum Song der „Potzdamer Platz“ und die „Nurnberger Strasse“ falsch geschrieben wurden, nahm niemand übel.
Mehr als Wehmut
Tatsächlich ist „Where Are We Now?“ nicht nur der wehmütige Rückblick eines alten Mannes auf vergangene und zum Teil verschwendete Zeiten. Sondern auch Bowies Hommage an eine Stadt, die in der zweiten Hälfte der 70er Jahre eine entscheidende Rolle einnahm in seiner persönlichen und künstlerischen Entwicklung. Eine Stadt aber, die es so nicht mehr gibt. Der Potsdamer Platz ist lange schon nicht mehr die Brachfläche zwischen den politischen Blöcken, auf die Bowie aus den Hansa-Studios blickte, als er „Heroes“ schrieb. Auch Bowies Stamm-Club Dschungel in der Nürnberger Straße existiert nicht mehr.
So erzählt „Where Are We Now?“ zwar einiges über Bowie, die Rezeption des Songs aber sehr viel mehr über Berlin. Ob die Stadt „jemals einen würdigen Nachfolger für Bowie hervorbringen“ könne, fragte der Tagesspiegel. Und kam zu dem Schluss, dass Berlin stattdessen Gefahr laufe, „zur Einöde zu werden“, zu einem Ort, „wo zu viel Talent vergeudet wird. Wo es wenig Output gibt. Und wo es keine Handelsplätze für wahre Klasse gibt.“ Da war er wieder, der Berliner Minderwertigkeitskomplex.
Ist es doch so: Da können die EasyJetsetter jede Nacht zum Tag machen, die Touristen mit ihren Rollkoffern Rillen ins Pflaster rattern, das Berghain zehn Mal zum coolsten Club der Welt gewählt werden, die diversen Fashion Weeks sich zur lässigen Alternative zu Mailand und Paris entwickelt haben, internationale Kunstaufkäufer sich in schäbigen Hinterhofateliers die Klinke in die Hand geben, Musiker aus aller Welt Friedrichshainer Altbauwohnungen okkupieren und die Immobilienpreise explodieren – doch so richtig will man in Berlin immer noch nicht daran glauben, dass man tatsächlich der Nabel der Welt sein könnte. Tatsächlich waren es wohl diese, je nach Zählweise, mal 18 Monate, mal knapp drei Jahre, die Bowie in Westberlin lebte, in denen der Grundstein gelegt wurde für den Ruf, den Berlin heute in der ganze Welt genießt.
Bowie kam im Sommer 1976 in eine Stadt, die vor allem eine Vergangenheit hatte, aber kaum noch an ihre Zukunft glaubte. Eine Stadt, die buchstäblich zerfiel, die am Tropf der Transferleistungen aus Westdeutschland hing und zusehends alterte. „Eine Stadt, die besteht aus Bars, in denen sich traurige, desillusionierte Menschen betrinken können“, wie Bowie 1977 dem britischen Melody Maker erzählte.
Bowie kam nicht, weil in Westberlin das Leben vibriert hätte, sondern vor allem, um unbeobachtet von der Öffentlichkeit seine Kokainsucht zu kurieren. Er kam – wie viele Künstler nach ihm –, weil er nahezu bankrott war und das Leben in Berlin billig. Und er kam, um eine aus Selbstzweifeln geborene Schaffenskrise zu überwinden. Die Stadt war wie ein Spiegelbild von Bowies Zustand.
In der Retrospektive sind die Berliner Jahre prägend für Bowies Werk und die Geschichte der populären Musik, wobei von der als bahnbrechend gefeierten Berlin-Trilogie aus den Alben „Low“ (1977), „Heroes“ (1977) und „Lodger“ (1979) nur das mittlere tatsächlich in Gänze in Berlin aufgenommen wurde. Mit Hilfe von Brian Eno, Produzent Tony Visconti und Gitarrist Robert Fripp begann er auf diesen Werken, Einflüsse von Weltmusik, Avantgarde, elektronische Musik und Punk in die Popmusik zu integrieren.
Prägender noch aber ist die Berliner Ära bis zum heutigen Tag für Berlin selbst. Dank Bowie war Westberlin plötzlich nicht mehr nur der Brückenkopf des Kapitalismus, eine eingemauerte Stadt, die kaum lebensfähig war. 1963 hatte John F. Kennedy gesagt: „Ich bin ein Berliner.“ 13 Jahre später teilte David Bowie der Welt mit: Berlin ist cool.
Wirklich wahr wurde das aber erst in den folgenden Jahren. 1977 wurde die Galerie am Moritzplatz, Zentrale der Neuen Wilden, eröffnet, 1979 das erste Haus in der Kreuzberger Cuvrystraße instandbesetzt. 1980 gründeten sich Die Einstürzenden Neubauten, Die Tödliche Doris und Sprung aus den Wolken, ein Jahr darauf fand im Tempodrom das „Festival Genialer Dilletanten“ statt. 1982 organisierte Dimitri Hegemann, später als Tresor-Chef einer der prägenden Figuren des Berliner Techno, das erste Atonal-Festival. Im selben Jahr strandeten The Birthday Party in der Stadt, ihr Sänger Nick Cave blieb nach der Auflösung der Band hier hängen. 1983 kamen Depeche Mode zum ersten Mal in die Hansa-Studios, Killing Joke, Siouxsie and the Banshees, U2 und R.E.M. folgten.
Fragiles Selbstbewusstsein
Seitdem ist noch mehr passiert. Mauerfall, Love Parade, der Berliner Hipster, Berliner Schule im Film, die Startup-Welle: der ganze irre Berlin-Hype halt. Doch das Selbstbewusstsein bleibt fragil, das Image als weltweit geschätzte Kreativmetropole scheint nur geliehen. Wenn das Berghain vom „DJmag“ nur noch auf Platz 13 der besten Clubs der Welt gewählt wird, klappern die Türsteher mit den Zähnen. Und schreibt irgendein US-Blogger: „Berlin is over“, dann setzt das große Gejammer ein.
„We can be heroes“, singt David Bowie, „just for one day.“ Ruhm ist eben vergänglich. Das muss Berlin lernen, um endlich mal ganz entspannt Berlin sein zu können.