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Archiv-Artikel

Unten wohnte die Stasi

HAUSBESUCH Ein Gärtner, ein Pfarrer, ein Paar: bei Hanspeter Bethke und Karl-Heinrich Zahn in Brandenburg

VON SIMONE SCHMOLLACK (TEXT) UND JOANNA KOSOWSKA (FOTOS)

Saxdorf zwischen Bad Liebenwerder und Mühlberg im Landkreis Elbe-Elster in Südbrandenburg. Die Orte in der Nähe heißen Kauxdorf, Marxdorf oder Domsdorf. Zu Hause bei Karl-Heinrich Zahn (74) und Hanspeter Bethke (79).

Draußen: Fünfhundert Quadratmeter Garten hinter dem zweistöckigen Pfarrhaus und der kleinen angrenzenden Kirche aus dem Jahr 1230. Über dreihundert Sorten Rosen. Dazu Tulpen, Krokusse, Magnolien, Baumpäonien, Nashi-Bäume, Indianerbäume, Lederhülsenbäume, Quitten, Bambus. Dazwischen Bänke aus Sandstein, Stühle aus Holz, Skulpturen. Hanspeter Bethke: „Jede Pflanze hat ihre Biografie.“

Drin: Zwei Wohnzimmer, ein Flügel, Bücherregale. Ein alter Ofen, an den Wänden Bilder, die Hanspeter Bethke gemalt hat, viele Fotografien. Porzellan in einer Vitrine, Pflanzen in allen Ecken, überall Zeitschriften, Aktenordner, Bücher.

Wer macht was? Karl-Heinrich Zahn ist evangelischer Pfarrer, ursprünglich nur in Saxdorf, inzwischen betreut er 13 Dörfer, weil die Kirchen leerer werden. Alle, die hier sterben, werden von ihm beerdigt – Beerdigungen macht er lieber als Taufen und Hochzeiten: „Man kann dabei so schön hinter die Kulissen gucken.“ Seit 1974 organisiert er Konzerte, die in der Kirche stattfinden, Klassik, Jazz, Weltmusik. Hanspeter Bethke betreibt den Saxdorfer Pfarrgarten und hat geholfen, die Kirche zu restaurieren. Er ist Künstler und Gärtner, in einem Buch über den Pfarrgarten gibt es ein Bild, das ihn als Fünfjährigen zeigt – darauf gießt er einen Tomatenstrauch. Manche von den Rosen, die er gezüchtet hat, kann man in Blumenläden kaufen, „Kloster Altzella“ etwa. Oder eine tiefdunkelrote Rose, die aus dem Sämling der japanischen Nozomi stammt. Seit der Wende ist der Garten offen für alle, mittwochs, samstags und sonntags, in manchen Jahren kommen 5.000 Besucher. Einige sind Dauerbesucher, vor allem bei den Konzerten. 80 Kilometer nach Leipzig, 84 nach Dresden, 150 nach Berlin: Wenn zwei Reisebusse gleichzeitig vorfahren, führt Bethke eine Gruppe durch den Garten und Zahn die andere durch die Kirche. Danach wird gewechselt.

Wer denkt was? Karl-Heinrich Zahn möchte in ein paar Monaten, wenn er 75 wird, sein Pfarramt aufgeben. „Dann will ich mich nur noch um die Konzerte kümmern.“ Er wird der letzte Pfarrer in Saxdorf sein. Für den Pfarrgarten suchen sie schon länger einen Nachfolger. Schwierig: „Wer will schon hierher?“ Hanspeter Bethke: „Es ist nicht immer leicht, mit jemandem zusammenzuleben, der von Berufs wegen ein Gutmensch sein muss.“ Will auf keinen Fall von seinem Mann beerdigt werden. Und vor dem Jenseits mit Zahn noch eine letzte Reise machen, nach Schottland.

Karl-Heinrich Zahn: Ist 1967, gleich nach seinem Theologie-Studium in Halle, Pfarrer in Saxdorf geworden. In dem alten Pfarrhaus wohnte er zunächst unter dem Dach, unten wohnte die Stasi. Das dachte er sich schnell – richtig klar wurde es ihm allerdings erst mit dem Mauerfall: 360 Seiten Stasi-Akten gibt es über Zahn und Bethke.

Hanspeter Bethke: Hat Malerei und Grafik auf der Burg Giebichenstein in Halle studiert und danach als Baurestaurator im Wörlitzer Park in Sachsen-Anhalt gearbeitet. In Halle hatte er einen kleinen Schrebergarten, der eines Tages bei Erdarbeiten zerstört wurde. „Plattgemacht“, sagt Bethke. Die beiden Männer beschlossen, den Garten umzusiedeln. Fortan schleppte Hanspeter Bethke jedes Wochenende große Taschen mit Pflanzen, Setzlingen und Knollen nach Saxdorf. Das Land hinter dem Pfarrhaus war damals eine Stein- und Sandwüste. Wie grün es im Laufe der Jahrzehnte wurde, sprach sich herum, Intourist, das Reisebüro der DDR, schickte Reisegruppen ins Dorf. Einmal waren Sowjetbürger angekündigt, im Dorf hieß es: „Die Russen kommen.“ Die Russen waren aber Letten und irritiert von den Melkerinnen, die ihnen als Brigade der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft vorgestellt wurden.

Das erste Date: Das erste Mal haben sie sich 1964 oder 1965 gesehen, genau wissen sie das nicht mehr. Bethke: „Ist ja schon fast fünfzig Jahre her.“ Wo es war, wissen sie noch: in Halle, in Bethkes Schrebergarten. Karl-Heinz Zahn: „Ich sah den Garten und dachte: Das ist ja mal fein.“ Ob sie zusammenbleiben würden, war nicht ganz sicher. Bethke: „So verliebt war ich nicht.“ Zahn: „Bei Schwulen ist das mit den langen Beziehungen ja häufig etwas schwierig.“

Die Hochzeit: In aller Stille. Die beiden waren allein mit der Standesbeamtin, ein Tag im Spätsommer 2005. Zahn: „Wir wollten kein Brimborium.“ Schon wegen des Dorftratsches nicht. Zwei schwule Männer in der Popelprovinz, das sei schon hart genug – und dann noch verheiratet? Der „Trauschein“ sei eigentlich nicht wichtig. Inoffiziell wohnen die beiden schon seit 1967 zusammen. Offiziell pendelte Bethke zwischen Halle und Saxdorf – er durfte erst 1980 zu seinem Freund ziehen. Zahn: „Das musste man sich genehmigen lassen, man konnte nicht einfach so umziehen damals.“ Heute kennt sie jeder in der Gegend. Bethke: „Manche im Dorf reden aber immer noch hinter unserem Rücken über uns.“

Der Alltag: Sie könnten so lange schlafen, wie sie wollen, eigentlich sind beide Rentner. Aber der Wecker klingelt um halb acht. Hanspeter Bethke braucht anderthalb Stunden für seine „Gesundheitspflege“: Gymnastik, Insulin spritzen, Beine massieren, einschmieren („Die machen nicht mehr so mit“). Nach dem Frühstück gehen sie zu zweit in den Garten, Rosen schneiden, Unkraut jäten, neue Pflanzen setzen. Mittlerweile kommen Leute, um ihnen zu helfen. Hanspeter Bethke bleibt bis zum Abend im Garten. Karl-Heinrich Zahn steigt schon früher die Treppen hinauf ins Arbeitszimmer, zum Computer. Dann liest er Mails, die Leute wollen noch immer jede Menge von ihm: Geburtstage, Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, Seelsorge. „Ich begleite die Menschen gerne ein Stückchen“, sagt Zahn. Im vergangenen Jahr seien von den 120 Saxdorfern neun gestorben.

Wie finden Sie Merkel? „Sie steht ihren Mann“, sagt Karl-Heinrich Zahn. Hanspeter Bethke sagt: „Auf ihr lastet ein enormer Erwartungsdruck. Den muss sie erst mal erfüllen. Aber sie hat ein dickes Fell. Das hat sie wahrscheinlich von ihrem Ziehvater Helmut Kohl geerbt.“

Wann sind Sie glücklich? Bethke: „Wenn die Gartensaison zu Ende ist und wir nicht mehr ferngesteuert sind.“ Zahn: „Wenn wir mit unseren beiden wunderbaren Katzen Bingo und Jacky spielen können. Die sind für uns wahrscheinlich der Enkelkinder-Ersatz.“

Nächstes Mal treffen wir Silvana und Thomas Prosperi in Herrsching am Ammersee. Sie wollen auch besucht werden? Mailen Sie an: hausbesuch@taz.de