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Archiv-Artikel

Geburtshelfer der Trends

KULTURAUFTRAG Institutionen wie das WDR-Funkhaus Europa zeigen, welchen Beitrag der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur musikalischen Vielfalt in seiner Region leisten kann

In Berlin war Radio Multikulti mal ein ähnlicher Motor, bevor es mutwillig geschlossen wurde

Mit einem Paukenschlag verabschiedete sich Patrice von der Bühne. „Wir schreiben deutsche Musikgeschichte“, verkündete er selbstbewusst, und holte zur Zugabe noch einmal alle zu sich, die ihn an diesem Abend durch sein ambitioniertes Afrobeat-Programm begleitet hatten: Max Herre, Joy Denalane, die Rapperin Akua Naru und viele andere, am Schlagzeug gab der 74-jährige Tony Allen als immer noch unermüdliche Afrobeat-Legende den Takt vor. Alle zusammen verwandelten sie zum Abschluss Patrices Hit „Soulstorm“ in einen wahren Wirbelsturm.

Das energiegeladene Set von Patrice und seiner All-Star-Band war der Höhepunkt der diesjährigen „Big Up“-Party in Mülheim an der Ruhr. Die Publikumsparty des WDR-Senders Funkhaus Europa verwandelt die Stadt im Herzen des Ruhrgebiets alljährlich in den musikalischen Nabel der Welt. Die sechste und zugleich internationalste Welle des Westdeutschen Rundfunks zeigt damit, welchen Beitrag der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur kulturellen Vielfalt in seiner Region leisten kann, wenn er es denn will.

Afrobeat, Cumbia Digital, Gipsy-Pop, Electrotango, Balkan Beats oder Ethio-Jazz – von der Peripherie kamen in den letzten Jahren viele Trends, die ein weltweit wachsendes Publikum gefunden haben. Doch ohne Institutionen, die diesen Trends eine Plattform bieten, gehen sie an Deutschland vorbei. Das WDR-Funkhaus Europa ist so eine Plattform für Neues, die weit über die beiden Standorte in Nordrhein-Westfalen und Bremen hinausstrahlt. Vergleichen lässt sich seine Vorbildfunktion nur mit dem TV-Kultursender Arte, mit Radio Nova in Paris oder den BBC-Radioshows eines Gilles Peterson aus London. Hier werden die Trends gesetzt, die später den Mainstream erreichen. Andernorts sind es Festivals wie in Würzburg, Rudolstadt, Nürnberg, Hannover oder Lörrach, die dafür sorgen, dass globale Trends in ihrer Region erlebt werden können.

In Berlin ist das Haus der Kulturen der Welt, unter seinem aktuellen Intendanten, wieder zu einem Gravitationszentrum für nicht-angelsächsische Sounds geworden. Auch der RBB-Sender Radio Multikulti war hier mal so ein Innovationsmotor, um den Berlin weltweit beneidet wurde, bis er vor fünf Jahren mutwillig geschlossen wurde. Von diesem Kahlschlag hat sich die polyglotte Musikszene der Hauptstadt bis heute nicht erholt. Inzwischen leistet das Funkhaus Europa, das in Berlin auf der ehemaligen Frequenz von Radio Multikulti sendet, hier Entwicklungshilfe, indem es einmal im Jahr seine „Big Up!“-Party in die Hauptstadt verlegt. Ein Grund, warum man von Berlin aus öfters mal neidisch nach Nordrhein-Westfalen, ja sogar nach Mülheim an den Ruhr blickt.

Die „Big Up!“-Party dort bildet nur den Auftakt zu einem Reigen von Konzerten und Sommerfestivals von Funkhaus Europa, in Köln und quer durch das Ruhrgebiet. Das Liveengagement ist ein Herzstück des Programms. Mit den Mitschnitten der eigenen Konzerte und Festivals lassen sich viele exklusive Radiostunden bestreiten. Hinzu kommen ausgesuchte Auslandseinsätze bei zwei der namhaftesten Festivals des Kontinents, zu denen traditionell auch viele deutsche Besucher reisen. Im dänischen Roskilde und beim Sziget-Festival in Budapest ist der WDR-Sender regelmäßig mit seinem Team vor Ort und sendet praktisch rund um die Uhr von den spannendsten Bühnen, spricht mit den Musikern und beleuchtet die Hintergründe.

Auf der Webseite des Senders kann man vieles davon abrufen, auch die Höhepunkte aus Mülheim finden sich dort. Patrice übrigens will sein Afrostep-Projekt fort setzen. Sein nächstes Album möchte er ganz dem Afrobeat-Sound widmen, den der legendäre Funk-Meister Fela Kuti aus Nigeria vorexerziert hat. „Damit soll Afrobeat so salonfähig gemacht werden, dass das Mainstream-Radio das vielleicht spielen würde“, verriet er Funkhaus Europa. Patrice ist sich sicher: „Der Afrobeat-Bounce wird alles revolutionieren, und ich glaube, dass das die Zukunft ist.“