: Kundgebung für einen Verschwundenen
In Argentinien gehen landesweit tausende Menschen auf die Straße. Sie fordern restlose Auklärung über das Schicksal von Julio López. Der 77-Jährige war Zeuge in einem Prozess gegen einen Polizisten der Militärdiktatur. Die Regierung windet sich
AUS BUENOS AIRESJÜRGEN VOGT
In Argentinien haben am Wochenende landesweit tausende von Menschen wegen des Verschwindens von Julio López demonstriert. In der Hauptstadt Buenos Aires zogen die DemonstrantInnen vom Kongress zur Plaza de Mayo vor den Präsidentenpalast. „Wir fordern von der Regierung Kirchner die völlige Aufklärung des Verschwindens und dass Julio López lebend wieder auftaucht“, sagte Patricia Walsh vom „Bündnis 30 Jahre Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit“, das zu der Demonstration aufgerufen hatte. López war Zeuge im Prozess gegen einen Polizisten der argentinischen Militärdiktatur. Seit dem 18. September ist er spurlos verschwunden.
Auch wenn keinerlei Informationen über den Verbleib von López vorliegen: „Wir sind uns sicher, dass López entführt wurde. Alle Zeugen, die mit ihm ebenfalls ausgesagt haben, haben bestätigt, wie gelöst und stolz Julio López auf seine Aussage war. Die Vermutung, er sei aus Angst abgetaucht, ist nicht richtig“, so die Tochter des 1977 ermordeten und verschwundenen Schriftstellers Rodolfo Walsh.
„Die Provinzregierung hängt Suchplakate auf, so als hätte er sich wie ein Hund verlaufen.“ Nilda Eloy steht am Samstag vor dem Kongress in der ersten Reihe der Demonstration gegen das spurlose Verschwinden des Zeugen Julio López. Sie war wie Julio López Zeuge im Prozess gegen den früheren Polizisten der Provinz Buenos Aires, Miguel Etchecolatz. Etchecolatz war am 19. September wegen Mordes, Freiheitsberaubung und Folter politischer Gefangener zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden – einen Tag nach dem Verschwinden von Julio López.
„Die Regierung Kirchner muss endlich die Entführung von López anerkennen und wie in einem Entführungsfall ermittelt“, sagt Eloy. Noch immer suchen die Provinzbehörden unter dem Vorwand „Erkundung des Aufenthaltsorts“. „Damit ist weiterhin die Provinzpolizei zuständig. Das ist die Institution, deren Angehörige López der schlimmsten Menschenrechtsverbrechen beschuldigt hat.“
Nilda Eloy war während der Diktatur ebenfalls entführt worden und hatte Etchecolatz als einen der Täter identifiziert. In ihr Haus waren nach dem Verschwinden von Julio López trotz Polizeischutz Unbekannte eingedrungen. Sie war zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause.
Die Regierungsseite windet sich. Am Tag vor den Protesten wollte der Gouverneur der Provinz Buenos Aires, Felipe Solá, die Möglichkeit einer Entführung von López „wegen seiner politischen Vergangenheit“ nicht ausschließen. Er musste jedoch abermals einräumen, dass es trotz der Ermittlungen von Provinz- und Bundespolizei und des Geheimdienstes keine Erkenntnisse gebe. Solá sprach gar von einem „Verschwundenen“. Dieser Bezeichnung hatte Präsident Kirchner noch vor kurzem heftig widersprochen: In einem demokratischen Rechtsstaat gibt es keine Verschwundenen, so der Präsident und ließ seinen Innenminister die Suche nach López einen „Kreuzzug“ nennen. „Wenn Gott und die Heilige Jungfrau uns helfen, werden wir ihn finden“, so Innenminister Fernández. Mit seiner Aussage hatte López wesentlich zur Verurteilung von Etchecolatz beigetragen. Es war der erste Prozess, der nach der Annullierung der Amnestiegesetze durch die beiden Kammern des Kongresses im August 2003 wiedereröffnet wurde und bei dem es zu einer Hauptverhandlung und zu einem Urteil kam.
In der Urteilsbegründung wurde erstmals in Argentinien von Völkermord gesprochen. Das Gericht in der Provinzhauptstadt La Plata, Provinz Buenos Aires, nannte die Taten von Etchecolatz ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Zuge des Völkermords, der zwischen 1976 und 1983 in Argentinien stattfand“. Der heute 77-jährige ehemalige Polizist Etchecolatz war während der Militärdiktatur (1976–1983) für 21 geheime Gefangenenlager in der Provinz Buenos Aires zuständig.
Der 77-jährige López ist ein Überlebender der Militärdiktatur. Er war im Oktober 1976 von der Polizei der Provinz Buenos Aires entführt, in verschiedenen geheimen Haftlagern gefoltert und nach drei Jahren wieder freigelassen worden. Er hatte Etchecolatz als Täter wiedererkannt und im Prozess schwer belastet.
„Wir suchen einen Verschwunden, der während der Diktatur schon einmal verschwunden war“, sagte Patricia Walsh auf der Plaza de Mayo vor dem Präsidentenpalast. „Und wir glauben, die Entführung von Julio López steht im Zusammenhang mit den Drohungen gegen Richter und Rechts- und Staatsanwälte, die gegen die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverbrechen während der Diktatur ermitteln.“