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Archiv-Artikel

Experten bestätigen den Beinahe-GAU

Die deutsche Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit bewertet den Störfall im schwedischen Atomkraftwerk Forsmark offenbar ähnlich dramatisch wie ein ehemaliger Konstrukteur. Der Betreiber Vattenfall dementiert diese Version weiterhin

AUS STOCKHOLMREINHARD WOLF

Der Reaktor 1 des nahe Stockholm gelegenen schwedischen AKW Forsmark soll einem neuen Expertenbericht zufolge am 25. Juli nach dem Ausfall der gesamten Stromversorgung nur noch 18 Minuten vor einem GAU gestanden haben. Dies gehe aus einem internen Report der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) hervorgehen, aus welcher das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in seiner heute erscheinenden Ausgabe berichtet. Damit würden die unabhängige und für die Bundesregierung tätige sachverständigen Organisation die Einschätzung des ehemaligen Forsmark-Konstruktionschefs Lars-Olov Höglund teilen, über welche die taz bereits am 3. August berichtet hatte. Eine Stellungnahme der GRS war gestern nicht zu erhalten.

Laut Höglund hatte es auf einem bloßen Zufall beruht, dass Notstromgeneratoren die Kühlung des Reaktorkerns wieder sicherstellen konnten, nachdem das Kühlwasserniveau im Reaktortank bereits um die Hälfte auf eine Höhe von 1,90 m gesunken war. Bei einem Fortgang des Kühlwasserverlusts wären nach der – seitens der GRS nun offenbar bestätigten – Einschätzung Höglunds 18 Minuten später erste Teile des Reaktorkerns freigelegt worden. Mit der Folge einer Kernschmelze einige Stunden später.

Der Forsmark-Betreiber Vattenfall, der bereits im August versucht hatte, die Kompetenz ihres ehemaligen Konstruktionschefs in Zweifel zu ziehen, reagierte nun auch auf den Spiegel-Bericht mit einem Dementi. Unternehmenssprecher Göran Lundgren erklärte: „Das ist einfach nicht wahr. Es hat niemals eine solche Gefahr bestanden.“ Auch die schwedische Atomaufsichtsbehörde SKI hatte in ihrem Störfallbericht die Gefahr einer Kernschmelze verneint. Allerdings von einem „schwerwiegenden Vorfall“ gesprochen, da „auf Sicherheitssysteme zurückgegriffen werden musste, die dann zum Teil nicht funktionierten“.

Wie die Welt am Sonntag gestern unter Berufung auf deutsche Regierungskreise zusätzlich meldete, hätten Forsmark-Ingenieure bereits bei dem damaligen Regierungschef Göran Persson die Genehmigung eingeholt, das „Wallmann-Ventil“ öffnen zu dürfen, um im Falle einer Kernschmelze Druck und radioaktiven Dampf aus dem Atomkraftwerk ablassen zu können.

Auf Anfrage der taz konnten am Sonntag weder Forsmark-Informationschef Claes-Inge Andersson noch SKI-Pressesprecher Anders Bredfell einen solchen Vorfall bestätigen. Sie halten ihn aber schon deshalb für unwahrscheinlich, weil eine AKW-Bedienungsmannschaft in alleiniger Verantwortung über einen solchen Schritt entscheiden würde.