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Archiv-Artikel

„Die Handschellen schon in den Augen“

Der frühere Gefängnispfarrer der JVA Siegburg erhebt Anschuldigungen gegen Anstaltsleiter Wolfgang Neufeind

taz: Herr Hebeler, geht es den jugendlichen Gefangenen in Siegburg gut?

Rudolf Hebeler: Ich würde sagen, dass es ihnen miserabel geht. Wenn jetzt auf den Personalmangel rekuriert wird, ist das nur ein Drittel der Wahrheit. Die ganze Wahrheit ist, dass das Personal so denken soll wie die Anstaltsleitung: dass der inhaftierte Mensch nur ein zu verwahrender ist, dem man mit größtem Misstrauen begegnet. Es wird nur auf Sicherheit und Ordnung gegangen. Und das sieht man daran, dass die Kontaktgruppenarbeit, also die Arbeit mit Ehrenamtlichen, eingeschränkt wurde. Die Menschen werden wirklich gehalten wie in Käfigen nur mit Tieren redet man ja noch. Aber dort wird nicht geredet, da wird einfach mit ‚Ja‘ und ‚Nein‘ geantwortet. Der Häftling darf am Wochenende vielleicht seine Kumpels besuchen auf anderen Zellen. Aber wenn Sie Subkulturen zusammentun, dann kommt da ‚sub‘ raus, aber bestimmt keine Kultur.

Der Begriff Sicherheit scheint bei Ihnen negativ besetzt zu sein. Können Sie das mal erläutern?

Die Mauer in Siegburg wurde erhöht. Und auf der überhöhten Mauer ist überall Nato-Draht. Selbst Innenhöfe sind mit Nato-Draht besetzt. Was das mit der Psyche von Menschen macht, das sehen wir ja. Die Aggressionen gehen nach innen. Und zwar um so mehr, wenn die Forderung ‚Sicherheit nach Außen‘ nicht aufgefangen wird durch ‚Freiheit nach Innen‘. Wir können Leute aber nur auf die Freiheit vorbereiten, in dem wir sie mit freiheitlichen Verhalten konfrontieren. Wenn Sie schwimmen lernen wollen, brauchen Sie ja auch Wasser.

Wo liegt denn da die Schuld?

An der Ausbildung der Vollzugsbeamten. Die einfachsten Dinge im kommunikativen Umgang sind denen vernebelt dadurch, dass sie nur noch Sicherheit im Kopf haben. Sie haben die Handschellen schon in den Augen. Sie müssen aber nicht schießen, sondern mit Menschen umgehen können.

Können Sie die Rolle der Anstaltsleitung in diesem Zusammenhang erklären?

Sie will ihre Ruhe haben und lässt auch zu, dass die Beamten ziemlich rigide mit den Häftlingen umgehen. Da gibt es keine offenen Zellen mehr. Auch bei harmlosen Gefangenen nicht. Da ist einfach der Wunsch: Die müssen sitzen. Hier wird der Mensch als Gegner gesehen.

Aber der Anstaltsleiter geriert sich gerne als Kunstfreund, der Malgruppen in die JVA geholt hat.

Er macht alles das, was pressewürdig ist. Das ist natürlich schön, wenn die da drinnen Hühner halten oder herrliche Blumen anbauen und er Malgruppen reinlässt. Meine Zeiten, mir kommen die Tränen. Das ist eine ganz kleine Gruppe. Und der Rest ist Schweigen. Das ist das Problem. Fragen sie die ehrenamtlichen Mitarbeiter, wie die behindert worden sind.

Läuft es in Siegburg denn schlechter als in andern Vollzugsanstalten?

Ich kann Ihnen nur sagen, dass andere Anstalten anders geführt werden. Diese Gewalttätigkeit, die Leute provoziert, die vorher nie gewalttätig waren, kommt nur in Siegburg vor. Und das ist gewollt. Das wurde immer schlimmer, seit die Gefangene nur noch Menschen dritter oder vierter Klasse sind.

Ist es eine späte Genugtuung, dass Sie recht behalten haben?

Bitte alles, nur das nicht. Nein, das ist gerade das Schlimme. Ich fühle nur Zorn und große Traurigkeit; darüber, dass diese Leute so lange agieren konnten und überhaupt kein Gefühl dafür haben, was Schuld ist in einem solchen Fall.

INTERVIEW: BENJAMIN WASSEN