: Wulff kommt unter die Räder
Die Opposition fordert Niedersachsens CDU-Ministerpräsidenten auf, sein VW-Aufsichtsratsmandat niederzulegen. Christian Wulffs „unprofessionelles Verhalten“ könnte zudem der EU Munition im Streit um das VW-Gesetz liefern
VON KAI SCHÖNEBERG
Er habe im Land „alles im Griff – bis auf VW“. Dieser Satz von CDU-Ministerpräsident Christian Wulff trifft derzeit voll ins Schwarze: Europas größter Autobauer kommt nur mühsam wieder auf die Überholspur, beim Stühlerücken an der Konzernspitze hat sich das VW-Aufsichtsratsmitglied Wulff „zwei blaue Augen“ geholt, wie es einer aus dem Arbeitnehmerlager des Kontrollgremiums ausdrückt. Der „Alte“, Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch, hat nicht nur zusammen mit IG Metallern und Betriebsräten VW-Chef Bernd Pischetsrieder gestürzt, um seinen Duzfreund, den Audi-Chef Martin Winterkorn in Wolfsburg zu installieren.
Der Porsche-Mitbesitzer könnte auch bald gemeinsam mit der Porsche AG das Ruder bei VW ganz an sich reißen. Mit einer Kapitalerhöhung will der Sportwagenbauer aus Zuffenhausen acht Milliarden Euro in die Kriegskasse spülen. Experten fürchten bereits, dass es eines Tages zu einem Übernahmeangebot für VW kommen könnte – auch wenn Porsche das dementiert. Der Auto-David würde dann den Wolfsburger Goliath schlucken: Porsche baut in diesem Jahr knapp 100.000 Autos, VW über fünf Millionen.
Wenn die Geschicke von Volkswagen nicht mehr in Wolfsburg, sondern in Zuffenhausen oder sogar in Piëchs Wohnort Salzburg bestimmt würden, bedeutete das Gefahr für die noch etwa 90.000 VW-Jobs in Niedersachsen. Während der VW-Affäre hatte Aufsichtsrat Wulff öffentlich gefordert, man solle „den Mittellandkanal von oben in das VW-Verwaltungsgebäude einleiten“, um dort auszumisten wie Herkules einst den Augiasstall.
Nur noch wie ein klägliches Nachkarten klang dagegen des Landesvaters Forderung in der Bild am Sonntag, Piëch solle sich 2007 endlich aus dem Aufsichtsrat zurückzuziehen. Als er das las, ist Wolfgang Jüttner „die Hutschnur geplatzt“. Öffentlich forderte der SPD-Fraktionschef den Ministerpräsidenten auf, sein Mandat im Aufsichtsrat nieder zu legen. Die Interessen des Landes drohten „unter die Räder zu kommen“, weil sich der Ministerpräsident „unprofessionell“ verhalte. Lieber solle der zweitgrößte VW-Aktionär einen „Auto-Experten mit Sachverstand und Rationalität“ benennen, der das Land in dem Kontrollgremium vertrete, sagt Jüttner zur taz. Die Grünen sehen das ähnlich. „Wulffs Verhalten wird zunehmend zu einer Belastung für VW, die Interessen des Landes und der Beschäftigten des Konzerns“, sagte gestern Wirtschaftsexperte Enno Hagenah. Sein Vorschlag: Statt mit zwei Mitgliedern – neben Wulff derzeit Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) – solle das Land künftig nur mit einem Regierungsvertreter im Aufsichtsrat vertreten sein – und „einer externen fachkompetenten Person“.
Wulffs Antwort war gestern geradezu kleinlaut: Der Ministerpräsident sei einst „auf ausdrücklichen Wunsch“ des Gesamtbetriebsrats in den Aufsichtsrat gegangen, „um sich damit als Land in besonderer Weise zu VW zu bekennen“, sagte ein Sprecher.
In der Zeit vor dem 12. Dezember gewinnt das VW-Scharmützel zusätzlichen Drive. Dann startet der Europäische Gerichtshof in Luxemburg ein Verfahren gegen das VW-Gesetz, das Niedersachsen die Poleposition beim größten Arbeitgeber im Land sichert. Danach kann kein Aktionär mehr als 20 Prozent der Stimmrechte ausüben, unabhängig davon, wie viele Anteile er am Unternehmen hält.
Niedersachsen hält zwar nur 20,8 Prozent der Anteile an VW, hat aber praktisch genau so viel im Konzern zu sagen wie die Porsche AG (mittlerweile 27,4 Prozent). Mit der Sperrminorität kann das Land derzeit Entscheidungen über Jobs oder Standorte blockieren. Viele Experten glauben, dass sich Porsche mit der geplanten weiteren Aufstockung seiner Anteile in Stellung bringt, um bei einem Fall des Gesetzes im kommenden Jahr die Macht in Wolfsburg zu übernehmen.
Die EU-Kommission ist der Auffassung, dass das Gesetz den freien Kapitalverkehr behindert. Überhaupt sind die Brüssler Wirtschaftsliberalen generell gegen die staatliche Beteiligung an Unternehmen. „Jede Veröffentlichung, die Wulff provoziert, liefert Brüssel neue Munition“, sagt der Grüne Hagenah. Die „öffentlichen Ausfälle gegenüber anderen Aufsichtsratsmitgliedern“ bestärkten nur die „Unterstellungen der EU“.